Seit 2003 ist der 10. September der Welttag der Suizidprävention, ausgerufen von der Weltgesundheitsorganisation WHO und der International Association for Suicide Prevention IASP.
Aus Sicht der Medizin sind Suizide und Suizidversuche in vielen Fällen ein Symptom einer behandlungsdürftigen psychischen Störung wie einer Depression, bipolaren Störung, Schizophrenie, starker Schmerzen oder anderer schwerer Leiden. Hinzu können soziale Faktoren wie hohe Verschuldung, persönliche Verluste oder starke soziale Veränderungen kommen, die Menschen in den Suizid treiben können.
Medizinisch kann Menschen durch medikamentöse aber vor allem therapeutische Hilfe hier oft geholfen werden, ein stabiles und unterstützendes Umfeld begünstigt diese professionelle Begleitung immens.
Der Suizid und seine auslösenden Grunderkrankungen und Begleiterscheinungen sind heute immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema. Zwar haben die Freitode bekannter Persönlichkeiten wie Robert Enke, Andreas Biermann oder aktuell Chester Bennington das Thema in die Öffentlichkeit gerückt und eine grundsätzliche Debatte angestoßen, die Stigmatisierung von Menschen mit suizidalen Tendenzen, Depressionen und psychischen Schwierigkeiten aber nicht gebrochen.
Nach wie vor finden sich Menschen, die selber auf der Suche nach Unterstützung sind oder solche die Unterstützung für ihnen nahestehende Menschen und sich selbst suchen, auf endlos langen Wartelisten wieder, sehen sich mit formalen Anträgen und Bürokratiequatsch konfrontiert und finden eben ein kaum stabilisierendes und unterstützendes Umfeld vor.
Und so sind es nicht die bekannten Verluste die zur Gründung von St. Depri führten, sondern das Ausscheiden eines Freundes aus dem Leben. Eines geliebten Menschen. Eines Mitglieds der Fanszene Sankt Pauli.
Eine Fanszene, die sich als solidarisch versteht, die benachteiligte und schwache Menschen aktiv unterstützen will, die den Versuch unternimmt, Mackertum und männlich konnotierte Verhaltensweisen aufzubrechen und auch in der Kurve einen Raum für Emotionen (jenseits vom Fussball-Ole-Ole) und menschliche Belange zu schaffen.
Eine Fanszene, die es offensichtlich nicht geschafft hat ihren eigenen Leuten ein Umfeld zu schaffen in dem man sich aneinander wenden kann und in dem man mit seinen Dämonen nicht alleine ist.
Statistisch kommen auf 100.000 Einwohner_innen in Deutschland 33,35 Suizide, die Anzahl der Versuche ist zehn bis fünfzehn Mal höher. Die Dunkelziffer bei beiden noch höher. An Depressionen leiden, je nach Erhebung zwischen 11,1% bis 14,9% der Bevölkerung. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir Seite an Seite mit Menschen im Stadion stehen und feiern, die tagtäglich mit sich und ihren Dämonen kämpfen und diesen Kampf mitunter auch verlieren.
Und so entstand aus dem Freitod von Michel am 28.08.2014 der feste Vorsatz, dass kein_e Sankt Paulianer_in sich durch Depressionen, andere psychische Erkrankungen und entsprechende Begleitumstände das Leben nehmen soll.
Sankt Pauli soll mehr sein als Woche für Woche gemeinsam im Stadion stehen und zusammen zu feiern (oder auch mal zu bangen, Tragik kennt Sankt Pauli ja auch ganz gut). Sankt Pauli soll ein Ort sein, an dem wir uns kennen und an dem wir übereinander Bescheid wissen. Und an dem wir füreinander da sind.
Und so wächst aus einem dunklen Moment voller Trauer eine starke Perspektive. Menschen kommen zusammen und gründen St. Depri. Das Ziel ist es im Verein einen Anlaufort zu etablieren, konkrete Präventionsmaßnahmen anzubieten, individuelle Unterstützung zu organisieren und Öffentlichkeit und Bewusstsein für die Themen Depression und Suizid zu schaffen.
Dazu wird regelmäßig am dritten Donnerstag im Monat zum Stammtisch eingeladen. Die Treffen beginnen mit einem Vortragsteil, damit alle Anwesenden erst mal ankommen und entspannt zuhören können. Das Thema des Vortrags wird entweder von St. Depri oder von den Stammtischteilnehmenden ausgewählt. So wie St. Depri im Allgemeinen besteht auch der Stammtisch aus akut und ehemals Depressiven, Angehörigen, TherapeutInnen und Interessierten.
Da es während einer depressiven Phase nicht selten schwierig ist für den depressiven Menschen selbst so einfach erscheinende Dinge wie den Besuch eines FC St. Pauli Heimspiels, des St. Depri-Stammtisches oder überhaupt das „vor die Tür gehen“ zu leisten und dies mittelfristig zum Abbruch nahezu aller sozialen Kontakte und zu einem „Einigeln“ in den eigenen vier Wänden führt, wurde das Patenprojekt initiiert. Ziel ist es, diese Spirale zu durchbrechen. Und was läge da näher, als ein gemeinsames Hobby aller St. Pauli-Fans hierfür zu verwenden – eben den FC St. Pauli, und hier speziell den Besuch eines Heimspiels und als niedrigschwelliges Angebot unseren einmal monatlich stattfindenden Stammtisch. Ziel des Patenprojektes ist es, eine_n an einer Depression Erkrankte_n mit Hilfe eines_r Paten/Patin von zu Hause abzuholen und so wieder den Besuch der Heimspiele vom FC St. Pauli und des St. Depri-Stammtisches zu ermöglichen.
Weitere Angebote wie das unterstützte Brieföffnen, ein begleitetes Sportangebot und ein breit aufgestelltes Netzwerk an Unterstützer_innen, Therapeut_innen und Einrichtungen ergänzen die aktive Unterstützung von St. Depri.
Zusätzlich bringt sich St. Depri immer wieder in das Vereinsleben mit ein, sorgt durch Präsenz bei Turnieren und Veranstaltungen für Ansprache- und Kontaktmöglichkeiten, durchbricht mit Kampagnen die „alltägliche“ Spieltagswahrnehmung und arbeitet somit der Stigmatisierung und Tabuisierung von Depressions- und Suizidprävention entgegen.
Diese Arbeit ist nicht nur unglaublich wertvoll und wichtig sondern auch mutig und wegweisend.
Deswegen möchten wir diese Arbeit unterstützen und sammeln im Rahmen der 20 Nations Rally für St. Depri und freuen uns heute ganz besonders, dass bisher 26 Unterstützer_innen 1000€ zusammen getragen haben! An dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Dank dafür!
Außerdem ein ganz herzliches Dankeschön an Stefan Groenveld der uns das Titelbild, ein Foto des Banners auf der Gegengrade zum Todestag von Michel, entstanden beim Heimspiel gegen Heidenheim am 26.08.2017, zur Verfügung gestellt hat. Seinen Blogeintrag zu diesem Spiel findet ihr hier: https://www.stefangroenveld.de/2017/fussballweisheitenspiel/