Das Todesorakel des Poseidons

Vor einigen Tagen teaserte ich hier den Plan für den Sommer 2023 in all seiner Einfachheit: ich fahre einen Freund zum Flughafen. Wenn ich mehr dazu sagen möchte, dann würde ein zweiter Satz sein: Anschließend fahre ich gemütlich nach Hause.

Wie so oft steckt der Teufel natürlich im Detail. Deswegen hier der etwas umfangreichere Plan für das Abfeiern von etlichen Überstunden. Ursprünglich für die Mongol Rally angespart, muss (darf) ich jetzt zwei Monate frei nehmen. Schreckliches Schicksal, das ist klar, ich werde mich dem natürlich in aller gebotenen Demut hingeben. Micha, mit dem ich die Mongol Rally geplant hatte, sieht sich demselben Schicksal ausgesetzt. Bei intensiver Auseinandersetzung mit der nun vor uns liegenden, unverplanten Zeit, merkten wir beide, dass unsere Alternativvorstellungen aus verschiedenen Gründen von einander abweichen. Micha hat Bock auf Südostasien, ich habe Bock auf Balkan. Micha hat den Balkan bereits intensiv bereist, ich habe noch nie in meinem Leben Südostasien als erstrebenswertes Urlaubsziel ins Auge gefasst. Weil wir beide pragmatisch mit solchen Situationen umgehen, war relativ schnell klar, dass sich dies nicht unter einen zweimonatigen gemeinsamen Hut bringen lassen würde. Was wir aber auch merkten: so ganz wollten wir den gemeinsamen Urlaub dann jetzt auch nicht sausen lassen.

Daraus entstand die Idee: ich fahre Micha zum Flughafen. Und wer diesen Blog ein bisschen im Auge hat, kann sich vorstellen, dass wir nicht zwingend den direkten Weg nehmen werden. Und das der Flughafen nicht zwingend um die Ecke sein wird. Und das Flughäfen eigentlich kein geeignetes Likedeeler-Ziel sein können.

Aus der Schnittmenge von möglichen Abflughäfen nach Südostasien mit Präferenz auf einer bestimmten Airline, Großraum Balkan und einem veranschlagtem, gemeinsamen Zeitfenster von gut zwei Wochen fokussierten wir uns auf Griechenland als das Land, in dem ich Micha am Flughafen absetzen werde. Und somit lag nichts näher, als das Todesorakel des Poseidons als Fernziel auf den Ticker zu nehmen. Das Todesorakel des Poseidons liegt am Kap Tenaro, dem zweitsüdlichsten Festlandzipfel Europas. Außerdem soll sich dort der Eingang zum Hades befinden, es war zu spartanischer Zeit eine Jobbörse für arbeitslose Söldner, 1717 wurden die türkischen und die ägyptischen Flotten von den zahlenmäßig unterlegenen Venezianern besiegt, hier treffen der lakonische und der messenische Golf aufeinander (also quasi die beiden Buchten der Peleponnes) und wenn man etwa 150km in westnordwestlicher Richtung schwimmt, kann man in das gut 5km tiefe Calypsotief, die tiefste Stelle des Mittelmeers, tauchen. Und um das ganze zu toppen, gibt es dort einen Leuchtturm und ein paar alte, antike Steine. Außerdem liegen auf der Peleponnes die historischen Stätten von Mykene, Korinth, Sparta und Olympia. Und es gibt bis zu 2400m hohe Bergketten und somit gibt es dort sicherlich ein paar spannende Pässe. UUUUUND mit der Rio-Andirrio-Brücke gibt es auch noch eine echte Brückensensation auf dem Weg dorthin. Wenn das alles nicht Grund genug ist, dorthin zu fahren – dann weiß ich auch nicht.

Also lautet der Plan in länger: möglichst schnell raus aus Deutschland Richtung adriatisches Meer, ab dort kreuz und quer Richtung Griechenland mit Aufenthaltsschwerpunkt Albanien/Nord-Mazedonien und Montenegro bis zum Kap Tenaro, anschließend Micha am Flughafen in Athen absetzen und danach mit noch mehr kreuz und quer irgendwie wieder zurück. Zeitansatz insgesamt: sechs Wochen oder so. Zwei davon gemeinsam. Das Ganze im 145er mit Dachzelt. Könnte gut werden.

Was jetzt noch fehlt, ist ein Titel für diese Tour. „Balkan diesdas“ ist durch diverse Adventure-Rallyes bereits besetzt. Traditionell enthält dieser Blog neben Roadtrips, Quatsch mit Autos und Reiseberichten ja auch ein wenig Nerd-Unfug aus den Geschichtsbüchern. Oder auch anderem Wissen, das man nicht braucht. Praktischerweise hatte ich eine ganz formidable Geschichtslehrerin und habe immer noch eigene Begeisterung für längst Vergangenes und deswegen lag der Titel einer Tour, die ihren bis jetzt geplanten Schwerpunkt an der östlichen Adriaküste, ihrem Hinterland und in den Gegenden nördlich der griechischen Grenze hat, auf der Hand: The Illyrian.

Die Illyrer sind ein, zugegeben historisch etwas romantisiertes und in der neueren Zeit auch in ihrer Bedeutung missbrauchtes Volk, das irgendwann 2000 bis 600 vor Christus in den Gegenden des heutigen Nord-Mazedoniens, Montenegros, Albaniens, Bosniens und die kroatische Küste entlang gelebt hat. Direkte Nachbarn waren unter anderem die deutlich bekannteren Stämme der Kelten oder der Thraker. Viel weiß man nicht, es gibt wenig archäologische Funde. Was man weiß ist, dass die Bezeichnung Illyrer wahrscheinlich wie die Bezeichnung Germanen eher ein Sammelbegriff erst griechischer Chronisten und später römischer Besatzer ist. Spätestens die Römer manifestierten dies mit der Provinz Illyricum, später geteilt in Ilyricum Inferior und Superior, die Reichsreform Diokletians teilte die Präfektur noch einmal in die Unterprovinzen Noricum, Pannonia, Valeria, Savia, Dalmatia und Dacia (manche Regionsbezeichnungen haben sich bis heute ja gehalten). Tatsächlich subsummieren sich unter dem Begriff der Illyrer also eine ganze Menge an Stämmen und Völkern, eine genaue Zuordnung gestaltet sich mangels faktischer historischer Nachweise und Funde schwierig. Wie immer, wenn die Geschichte Platz für Interpretation und Spekulation bietet, mussten die Illyrer in der neueren Zeit immer wieder mal nationalen Bestrebungen als Identifikationspunkt dienen, aber auch Partyreihen und Festivals oder Streetwear-Marken beziehen sich zumindest namensschöpferisch im Sinne von „Balkan“ auf sie. In Albanien zum Beispiel sind illyrische Namen relativ weit verbreitet, ursächlich dafür ist aber die Zeit des kommunistische Regimes, welches christliche und muslimische Namen schlicht und ergreifend ablehnte. Eine historisch nachvollziehbare Stringenz in der Nutzung illyrischer Namen gibt es in Albanien nicht.

Unterm Strich wird das aber keine Tour auf den Spuren Illyriens, dafür gibt es diese Spuren im Prinzip nicht mehr. Es wird eine Tour auf dem historischen Gebiet der Illyrer, andere antike Völker und ihre Hinterlassenschaften sowie die neuere Geschichte werden wahrscheinlich prägender sein. Und trotzdem schien der Name passend. Deswegen geht es in wenigen Tagen los, auf die Illyrian 2023.

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