Der Club der verfluchten Autos

Es ist irgendwie verhext: bereits zu Beginn des Jahres zeichnete sich ab, was im April dann traurige Gewissheit wurde: 2 Jahre Vorfreude, 2 Jahre Vorbereitung und 2 Jahre Kopfkino (und 2 Jahre Überstunden sammeln) haben ein abruptes Ende gefunden: die Mongol Rally wird nicht stattfinden. Einen richtigen neuen Plan gab es vorerst nicht, irgendwie hatten wir bis zum Ende immer noch gehofft, dass das mit dem fetten Abenteuer doch noch was wird. Jetzt haben wir (also Micha und ich, Matthias) zwei Monate frei und noch keinen konkreten Plan.

Wofür es aber einen konkreten Plan gab, war das Pfingstwochenende. Traditionell findet Pfingsten immer der Leichentreff am Südfriedhof in Leipzig statt. Dank Wave Gotik Treffen ist die Leichenwagendichte an diesem Wochenende in Leipzig immer recht hoch und so lag es irgendwann nahe, alle Fahrer:innen mit ihren BKWs zusammen zu trommeln. In den letzten Jahren habe ich diese Veranstaltung organisiert und mich um den rechtlichen Rahmen gekümmert.

2023 sollte das nicht anders sein, auch oder obwohl die Veranstaltung anders sein sollte: neuer Startort, neue Route. Von Jahr zu Jahr wuchs der Leichentreff immer mehr, beim letzten offiziellen Leichentreff reichte der Platz am herkömmlichen Startort, einem Kurzzeitparker-Parkplatz am Leipziger Hbf kaum für die Menge an Autos aus. Bei den Gesprächen mit der Rennleitung und den Ordnungsbehörden kristallisierte sich zunehmend heraus, das durch Vermietung ganzer Teile des Kurzzeitparkers an Carsharing und E-Auto-Ladesäulen der Platz noch weiter geschrumpft ist. Zusätzlich hätten Wege zu diesen Vermietungen frei gehalten werden müssen. Die Ordnungsbehörde bot jedoch adäquaten Ersatz an: der Augustusplatz vor der Leipziger Oper ist zentral gelegen und bietet mit einem runden Brunnen die Möglichkeit, die Fahrzeuge in einer repräsentativen Sternform aufzustellen. Entsprechend wurde dies in der Planung so eingelocked. Ebenfalls neu sollte die Strecke des Leichenwagen-Konvois zum Südfriedhof sein: bisher wurde auf relativ direktem Weg vom Hauptbahnhof zum Südfriedhof gefahren, dabei durch viel menschenleere Bürolandschaften. Für dieses Jahr hatte ich mir eine längere Route überlegt, diese führte entweder durch belebte Wohngebiete wie Connewitz oder landschaftlich nett durch Park- und Waldflächen. Und für die WGTler als nettes Schmankerl auch fast direkt am Gründungsort des WGTs entlang. Eine weitere Änderung stand dieses Jahr ins Haus: ich habe bekanntgegeben, die Organisation des Leichentreffs am Südfriedhof in andere, fähige und motivierte Hände zu geben. Diese Entscheidung ist vor allem persönlich motiviert gewesen, dieses Jahr hätte ich auf Grund privater Belastungen gerne die Tour nach Leipzig geskippt, als Veranstalter ist dies aber nicht ohne Weiteres möglich – es macht also deutlich mehr Sinn, den Leichentreff in Hände zu legen, die eh in Leipzig zwecks WGT sind. Keine leichte Entscheidung für mich, aber eine richtige.

Ebenfalls neu, vor allem um den Charakter einer Veranstaltung mit dem Ziel, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu unterstreichen und somit auch den Support und den Schutz des Versammlungsrechts genießen zu dürfen, war die Tatsache, dass wir diesmal ein Flugblatt, irgendwie kam die Bezeichnung „Leipziger Manifest“ (vielleicht doch etwas zu groß als Bezeichnung) , mit ein paar Kernideen des Leichentreffs, hatten. Dieses klebte an allen Autos und wurde an Interessierte weitergegeben. Hier der Text:

„Am heutigen Tag demonstrieren wir für den Erhalt zeremonieller Bestattungswagen und andächtiger Friedhöfe als Teil einer würdevollen Trauerkultur.

Die Discountisierung von Bestattungen nimmt den Raum für individuellen Abschied, und ausreichend Trauerzeit sowie den angemessenen Rahmen für das Ende eines Lebens.

In einer immer schnelllebigeren Zeit soll Abschied, Trauer und Andenken sich einer immer effektiveren Verwertungslogik unterwerfen, gleichzeitig verschwindet Tod aus unserer Lebenswahrnehmung und der Umgang mit diesem wird in Ausnahmesituationen verdrängt. Unser Anliegen ist nicht nur ein Gegenständliches, wir appellieren für ein Innehalten im Trubel des Alltags und im Jubel des Feierns, um sich die Endlichkeit unseres Seins ins Bewusstsein zu rufen und eine Idee zu bekommen, wie diese Endlichkeit gestaltet werden kann“

Wer auch keinen Bock hatte, nach Leipzig zu fahren, war unser 145er. Einige Wochen zuvor bin ich mit diesem noch ohne Stress zum Benzin&Wurst am Rulle East Rocket Engineering & Oldschool Speedshop gefahren und hatte ihn anschließend sicher in seinen Käfig gestellt. Als ich ihn Donnerstag vor dem Pfingstwochenende dort abholte, hatte er eine blockierende Bremse hinten rechts. Das merkte ich erst als ich im Likedeeler HQ ankam, der ganze Hof stank dezent nach weggeglühter Bremse. Da ein neuer Bremssattel und neue Scheiben und Klötze nicht auf Halde lagen war klar: Leipzig wird nur im Daily gehen. Das ist zwar auch ein Volvo, der V50 ist auch schwarz und hat verdunkelte Scheiben – aber so richtig zufriedenstellend ist das natürlich nicht.

Nichts desto trotz – die Community freut sich ja auch auf den Leichentreff, viele kommen auch nur für diesen nach Leipzig – machten wir uns im V50 also auf den Weg. Und das hat sich gelohnt: mit 45 Fahrzeugen war der Leichentreff so groß wie nie, das Wetter war grandios und die neue Route fand ich ganz hervorragend, ging den meisten Teilnehmenden wohl genauso. Und trotzdem: mit dem Daily zum Leichentreff fahren kickt einfach nicht. Ist ein bisschen wie zur Kostümparty im Schlafanzug kommen. Wir hörten zwar hier und da, dass unser Auto sicherlich ein Urnentransporter sei, so richtig überzeugt war davon aber niemand. Zu Recht.

Also der Blick nach vorne: inzwischen gehen die Bremsen vom Volvo 145 wieder. Ursächlich war eine zugequollene Bremsleitung, diese hat dafür gesorgt, dass der Bremssattel dauerhaft unter Druck stand, also immer ein wenig mitgebremst hat und nach dem Benzin&Wurst dann wahrscheinlich endgültig festgegammelt ist. Also neue Bremssättel hinten, neue Schläuche, neue Bremsflüssigkeit. Jetzt läuft wieder alles tippitoppi. Und noch ein neues Rad, dann fast unmittelbar nach der Bremsnummer steckte noch eine Schraube im rechten, hinteren Rad. Vielleicht reicht das ja an Pannen für dieses Jahr?!

Denn: es gibt Pläne. Auf dem ebenfalls alljährlichen, aber noch nie medial begleiteten Happy Kadaver (#werdabeiwarweißwaspassiertist, ganz viel Liebe an die Gang!) wurde der endgültige Plan für den Sommer 2023 aus der Taufe gehoben. Und er ist phänomenal:

Ich fahre einen Freund zum Flughafen.

5 Kommentare

  1. Im Leben war und bin ich nicht der größte Fan von organisierten Gruppenveranstaltungen. Nach dem irdischen Leben, wenn die Ablenkungen seltener werden, werde ich mich aber auf die durchgeplanten „Leichentreffen“ freuen und gerne daran teilnehmen. Bescheiden – wie immer – im leicht verhüllten historischen Originalzustand (= Schlafanzug).
    Viel Spaß bei der „Fahrt zum Flughafen“ und herzliche Grüße von Andreas

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