zurück zu Tag 12 – Nach Raudsilla
Tageskilometer – 419
getankte Liter – 33
Zeit unterwegs – 12,5 Stunden (minus drei Stunden Mittagspause)
nachgefüllt: 2,5 Liter Öl
Unser Plan für den Tag: Mit dem Polarkreisverkehr und Gin Tourismo in Ruhe auf den Weg machen, Team Avilius hatte Hummeln im Hintern und war in aller Herrgottsfrühe bereits aufgebrochen, um noch ein wenig touristische Erkundung von Tallinn machen zu können. Dafür musste früh morgens einmal kurz das Vorzelt vom Polarkreisverkehr abgebaut werden, stand der Granada doch in der letzten Reihe. Aber das hält ein Team Avilius halt nicht auf. Also brachen wir auf, als alle fertig und in Schwung gekommen waren (zumindest so, dass sie auf eigenen Beinen ins Auto steigen konnten). Unserer Reisegruppe schlossen sich die Schlibos noch an und reihten sich in die Kolonne mit ein. Die Rollenverteilung in der Kolonne war mittlerweile klar und wurde auch nicht mehr über Bord geworfen: Team Likedeeler als Vorhut und Navigation (auch mit Blick auf die Vorderachse nicht verkehrt, weil so auf schlechten Strecken vom angeschlagensten Auto das Tempo vorgegeben werden konnte – und im Zweifel auch der Weg), das Mittelfeld machte Gin Tourismo und die Nachhut bildete der Polarkreisverkehr. Diese waren freiwillig unfreiwillig das Schlußlicht – ihr T3 mit dem 50-PS-Diesel wirft unter Last hinten einfach riesige Kohlebrickets raus. Nun dürfen wir beim Thema Gestank am hinteren Ende aber nicht all zu laut sein, denn laut Gin Tourismo ist die ständige Bleiersatz-Wolke von unserem Volvo auch nur bedingt vergnügungssteuerpflichtig. Und nach Schubbetrieb hauen wir auch gerne nochmal eine dicke blaue Ölwolke hinterher. Karin, der Saab, war da das kolonnenfreundlichste Auto, aber eben auch gute 10-20 Jahre jünger als die Kolonnenkolleg_innen.
Die Tagesaufgabe führte uns nach Rummu. Dort gibt es einen ehemaligen Knast, der jetzt halbversunken in einem See liegt und ein Badestrand ist. So kann es gehen. Der Einstieg zum Badestrand erfolgte über einen Mauereinsturz, noch gesäumt von rostigem Nato-Draht und ein dahinter liegendes Stahlzaunelement. Offensichtlich kein offiziell genehmigter Badespot, aber wen schert’s?!
Geschert hat uns allerdings der Weg bis dorthin: Buckelpiste (wie soll es anders sein?) mit riesigen, tiefen Löchern, randvoll mit Wasser. Hier kommt Rallyefeeling auf. Schlamm, Matsch, spritzendes Wasser, hüpfende und schleudernde Autos. Wäre da nicht unser Volvo. Ganz vorne an der Spitze. Der mit unter Schrittgeschwindigkeit immer auf der Suche nach der Ideallinie ohne Wasser, Buckel, Löcher
und sonstigen vorderachsenunfreundlichen Naturdingen von uns da durch manövriert wurde. Hätte uns jemand vor der Rallye gesagt, dass wir unseren Volvo auf solchen Straßen bewegen, wäre er von uns für bekloppt erklärt worden. Jetzt geht das. Und der Volvo macht das. Ohne Stress. Hätten wir die Vorderachse nur neu gebuchst. Aber gut: Hinterher weiß man immer mehr.
Der Spot selber war der Wahnsinn: Ein riesiger Berg mit tiefen Erosionsspalten, direkt daneben ein Grundwassersee mit kristallklarem Wasser, in dem die Reste von Häusern und Befestigungsanlagen stehen. Das Roadbook verlangte, dass ein Teammitglied schwimmen geht und bei sommerlichen Temperaturen opferte sich Matthias.
Das Wasser war eisig kalt, nach kurzer Eingewöhnung aber ganz angenehm und vor allem nach der Party vom Vorabend sehr aufweckend!
Wach, erfrischt, mit Sand zwischen den Zehen und in den Socken ging es also weiter: Die Buckelpiste zurück und von dort auf die Landstraße. Die Reisegruppe hatte sich nämlich mit dem Volvo solidarisch erklärt und Abenteuer jenseits von auf der Karte gut aussehenden Straßen von der ToDo-Liste verbannt. Was nicht hieß, dass wir zukünftig nur gute Straßen fahren würden; hatte uns die Erfahrung doch gezeigt, dass sich die Realität durchaus etwas anders darstellte, als auf der Karte verzeichnet.
Aus dieser Kategorie war auch folgende Anekdote: Auf dem Weg fuhren wir durch den kleinen Ort Laitse. Dort befand sich direkt neben der Straße ein schönes Schlösschen. Wir wollten vor diesem nur kurz halten, denn wir dachten, dass ein paar Fotos mit den Autos vor dieser Kulisse super wären. Aus „kurz“ wurden drei Stunden, denn in dem Schloss befand sich ein Restaurant.
Und nach kurzer Konsultation der Karte (hört sich lecker an, ist mehr als bezahlbar) und unseren Mägen (Hunger!) gab es die einstimmige Entscheidung, dort einzukehren. Autos also wie Kraut und Rüben stehen gelassen und auf der Terasse vom Schloss niedergelassen. Das Schloss selber war wirklich schön: Mit viel Liebe zum Detail wurden die Inneneinrichtung und die
Wandbemalungen wiederhergestellt. Nicht neu gemacht, sondern mit immer noch antikem Charme und ordentlich Patina. Die Küche war zum Glück nicht von Gestern sondern auf ziemlich hohem Niveau. Und das haben wir ausgiebig genossen, völlig unabhängig von dem, was noch zu schaffen war. Man muß sich ja auch mal hart gönnen können.
Weiter ging es anschließend Richtung Riga (Lettland) – der Grenzübertritt mal wieder völlig unspektakulär. Unser Plan war es, in der Nähe von Riga einen Pennplatz zu suchen – anvisiert war die Gegend von Carnikava, wir hatten jedoch kein Glück. Carnikava ist ein riesiges Areal Wald voll mit Ferienhäusern und -anlagen. Teilweise völlig verfallen, teilweise richtig neu, manche sehen aus wie alte FDJ-Ferienlager, andere wie deutsche Vorstadt. Ein verrücktes Areal mit einem Riesenmanko: Es gab keinen befahrbaren Zugang zum Meer, denn zwischen dem Areal und dem Meer lag ein ca. 2km breites Naturschutzgebiet. Detailkarten hätten das verraten. Aber auch hier gilt: hätte, hätte, Fahrradkette. Ein zweites Manko: Schlechte Straßen en masse. Letztendlich landeten wir an einem See bei Adazi. Nicht sehr schön, vor allem nicht nach der Hoffnung auf den Sonnenuntergang am Strand, aber ein ruhiger Ort für die Nacht im Zelt sowie eine kurze Inspektion des Autos.
Mit unerfreulichem Ergebnis: Zu der ausgeschlagenen Vorderachse gesellten sich ein vermuteter Riss im Auspuffkrümmer oder Hosenrohr, der sich nicht lokalisieren ließ, aber vor allem hörbar war, sowie über eine Hand breit Lenkungsspiel. Trotzdem: Wir blieben vorerst bei unserem Plan, durchzuhalten bis Hamburg. Alles andere würde so kurz vor dem Ende der Rallye wahrscheinlich nur bedeuten, dass wir es nicht ins Ziel schaffen. Und das wollten wir unbedingt (also ins Ziel kommen)!
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