In Teterow bei Rostock findet alljährlich ein Autorennen der besonderen Art statt: Fahrzeuge vor Baujahr 1959 fahren in zwei Runden auf dem Teterower Bergring ein Dirttrack-Rennen. Aufmerksam wurde ich darauf über Menschen, die wir auf dem Leichenwagentreffen in Leipzig kennengelernt haben und die nach Lektüre unseres Rallyetagebuches und der nicht so für Begeisterungsstürme sorgenden Perfomance von Mecklenburg Vorpommern in Form der Usedomer Holiday-Nazis bereits eine Einladung für „MV kann auch anders“ ausgesprochen hatten. Außerdem sind Wattie und Anne großartig weswegen ich Rostock und Teterow in das Wochenende einbaute.
Der Plan also: 450km bis Hamburg, da Zwischenstop bei Freunden mit gemütlichem Abend, am nächsten Tag nochmal ca. 200km bis nach Rostock, dort mit Wattie und Anne treffen und ab da dann gemeinsam im Mini-Leichenwagen-Konvoi nach Teterow.
Doch bereits die Hinfahrt hatte es in sich: bestes Wetter und Stau. So nutzte ich die Fahrt um mit verschiedenen Kameraperspektiven und Montagemöglichkeiten zu experimentieren – natürlich immer nur von Stop zu Stop. Bei all der Aufregung um all diese Möglichkeiten einer Actioncam übersah ich, das ich anstelle des Filmmodus lediglich den Fotomodus eingestellt habe und bin jetzt nicht im Besitz toller Filmaufnahmen sondern von knapp 30 Einzelfotos. Oberfail. Richtiger Oberfail.
So tuckerte ich mit irgendwas zwischen 90 und 100km/h über die A1. An irgendeinem Rastplatz sprang mir als ich grade an einem geparktem LKW vorbeifuhr ein Mensch vor das Auto und wedelte wie wild mit den Armen. Ich parkte, stieg aus als mich dieser Typ anbrüllte ich solle unverzüglich zu ihm kommen. Sah ich nicht ein worauf er zu mir kam und sich als ein Mitarbeiter des BAG (Bundesamt für Güterverkehr) der grade eine LKW-Prüfung durchführte herausstellte. Keine Warnweste, nur schwarze Hose, schwarzes Polo. Kein offizieller Kram ausser nem scheckkartengroßen Ausweis der an der Hosentasche baumelte. Die Kurzfassung der gebrüllten Standpauke: ich sei über den Rastplatz gerast, hätte augengemessene mindestens 50km/h drauf gehabt und ihn und sein Leben gefährdet. In Zukunft solle ich maximal 25-35km/h fahren und außerdem auf offizielle Würdenträger besonders Rücksicht nehmen. Dann schob er ab, andere Autofahrer_innen beobachteten diese Szene mit Kopfschütteln. Kaum war er mit dem LKW fertig brüllte er den nächsten Autofahrer an.
Weil ich ja auch ein kleiner Klugscheisser bin habe ich mich im Nachgang noch mal klug gemacht: Lieber BAG-Typ, wenn du das liest: es gibt keine Vorschrift für Geschwindigkeiten auf Parkplätzen an der Autobahn es sei denn sie sind ausgeschildert (idR dann 40km/h). Das war hier nicht der Fall. Und somit gilt §1 Abs 2 StVO (jeder hat sich so zu verhalten, dass niemand gefährdet oder geschädigt wird). Bedeutet: selbst wenn Du Otto mich gemessen hättest, hättest Du außer einer unmittelbaren Gefährdung Deiner selbst nix gegen mich vorzubringen. Und wer ohne Warnweste plötzlich hinter Autos hervorspringt gefährdet zunächst einmal sich selber bevor er durch andere gefährdet wird. Viel spannender ist aber folgender Aspekt: das BAG ist bei Strassenkontrollen (nach Auskunft auf ihrer Website) nur zur Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften des Güterkraftverkehrsgesetz sowie für die Überprüfung der Mautabführung zuständig. Maut muß der Volvo nicht zahlen, Güterkraftverkehrsgesetz gilt bei ihm auch nicht – und damit bist Du raus. Selbst die angedrohte Messung dürftest Du Vogel noch nicht einmal durchführen, das ist nämlich Verkehrsraumüberwachung und somit Aufgabe der Polizei und der Ordnungsämter.
Ach, ich hasse solche Menschen mit Profilneurosen in ihren pseudowichtigen Uniformen die nichts besseres zu tun haben als anderen auf den Sack zu gehen.
Der weitere Fahrtverlauf nach Hamburg hätte unspektakulär sein können, wäre der Niederländer ein Auto vor mir im Stau vor lauter Handytippen nicht nach rechts und damit volle Kanone in den LKW neben ihm gedonnert. Doch anstatt anzuhalten fuhr er einfach weiter. Jetzt ist eine Fahrerflucht im Stau eine dumme Idee, nach ein paar hundert Metern standen wir wieder und er konnte gezwungen werden auf den Standstreifen zu fahren. Kurz der LKW-Fahrerin meine Daten gegeben falls sie einen Zeugen braucht und dann wieder in den Stau gestellt.
Und dabei wieder zwei wichtige Erkenntnisse für die Rallye gesammelt: es ist unabdingbar einen neuen Kühler zu montieren. Der alte Kühler ist ordentlich gammelig, das Kühlerwasser ist rostig und die Kühlleistung eher mau. Im Idealfall direkt noch einen thermostatgesteuerten Lüfter davor klemmen. Und wenn man schon eh bei Kühlung ist wird direkt auch noch ein Ölkühler eingebaut. Und, fast noch wichtiger, obwohl unsere Spezialwerkstatt die Vorderachsbremsen überprüft hat stimmt da was nicht. Das ist ja schon bei der B8-Tour aufgefallen. Und da werde ich mich nicht mehr gegen mein Bauchgefühl entscheiden: die Bremssättel, -belege und -scheiben kommen neu. Die quietschen sobald sie etwas warm werden viel zu sehr, irgendwie rubbelt das auch komisch und bei Stop and Go bremsen die auch nicht mehr so supi. Also ist der Werkstatt-Waschzettel schon wieder lang: Bremsen Vorderachse neu, Getriebeöl neu, Differentialöl neu. Kühler mit Lüfter und Ölkühler mache ich selbst.
Irgendwo im Stau überholten mich noch zwei Teilnehmer der Mongol Rally, eine Rallye die in England startet und in der Mongolei endet. Ihr Reglement ist simpel: das Auto darf nicht mehr als 1,2 Liter Hiubraum haben. Die Strecke ist frei wählbar, Hauptsache man kommt an. Und man muß 1000 Pfund Spenden sammeln. Das ist noch einmal eine Hausnummer größer als das was wir bisher gemacht haben. Vielleicht im Ansatz mit der Allgäu-Orient-Rallye zu vergleichen. Wobei die Sprachbarrieren um einiges größer sein dürften.
Hamburg ist ja mittlerweile so etwas wie ein zweites Zuhause: mit lieben Menschen, mit denen ich einfach Zeit verplempern kann, leckerem Essen und einem Gefühl von Aufgehoben sein. Über Hamburg gibt es also eigentlich nichts Aufregendes zu berichten außer das der Pannfisch in diesem einem Restaurant das in keinem Reiseführer steht und dessen Preise völlig in Ordnung sind unvergleichlich gut ist. Wo das Restaurant ist verrate ich nur auf Nachfrage, diesen bodenständigen Charme zu erhalten macht in Hamburg ja doppelt und dreifach Sinn. Und gut laufen tut der Laden auch nur mit Hamburger_innen. Die brauchen keinen touristischen Zulauf. Das die Leute in dem Laden cool sind zeigt das kleine Schild, das Nicht-Kund_innen auffordert für die Toilettennutzung mindestens 50
Cent zu zahlen die dann gesammelt an Sea-Watch gehen, eine Organisation die im Mittelmeer dringend notwendige Seenotrettung betreibt. Flüchtlinge werden in den abenteuerlichsten Schiffen von ihren Schleppern Richtung Italien geschleust, ob sie dort ankommen oder auf dem Weg jämmerlich ersaufen ist den Schleppern egal. Staatliche Einrichtungen kommen hier ihrer humanitären Verantwortung nicht nach, die Bilder von angespülten Leichen an Mittelmeerstränden dürften immer noch präsent sein. Sea-Watch und andere NGOs leisten hier tagtäglich wichtige humanitäre Hilfs- und Rettungsarbeit.
Freitag Mittag machte ich mich auf den Weg nach Rostock. Wieder Stau, wieder Baustellen, wieder kein Spaß. Hinter Hamburg lief es dann, bis Rostock sogar ziemlich flüssig. Von Rostock selber habe ich nicht viel gesehen: Kopfsteinpflaster, Altbaubestand und eine schicke Strasse den Hafen entlang sind mir in Erinnerung geblieben. Schnelles Einkaufen, dann den Leichenwagen von Wattie abholen und hinter Anne und Wattie her dann Richtung Teterow. Die beiden wählten extra die landschaftlich reizvolle Streckenführung über schön geschwungene Alleen durch satte Felder. Vierzig Minuten Fahrt die richtig viel Spaß gemacht haben.
Dann, Ankunft am Bergring und eine erste Idee davon, was das für ein Wochenende wird: überall stehen richtig schicke amerikanische Oldtimer rum. Eine ganze Handvoll 70er-Muscle-Cars und Trucks, aber vor allem eine unüberschaubare Anzahl von Hotrods, Customs und anderen Schönheiten. Die komplette Pallete. Hier können Fotos mehr sagen als Worte (siehe unten). Es war der Hammer. Auch akustisch. Immer wieder blubberte irgendwo ein V8 los – manche strassenzugelassen und dadurch dezent, die meisten aber nur fürs Rennen und mit offenen Headern. Gänsehaut. Dazwischen noch eine ganze Reihe alte Moppeds. 30€ für ein Auto mit Mensch sind für ein ganzes Wochenende mit Rahmenprogramm auch überschaubar. Gezeltet wird übrigens im innenliegendem Teil der Rennstrecke, der äußere Teil ist Fahrerlager für alles vor 1959. Dort sind auch entsprechende Stände mit Klamotten, Autoteilen, Barbier, Schnaps, Motorrädern, Essen und Trinken. Wobei letzteres mit Gold gemischt gewesen sein muß – anders ließ sich ein Preis von 15€ für zwei Cola und ein GinTonic nicht erklären. Aber gut, Selbstversorger gewinnt auf Festivals ja eh meistens.
Wattie und Anne hatten bereits eine Idee wo wir unser Lager aufschlagen und so fuhren wir einmal quer über den ganzen Platz. Das habe ich als Video festgehalten, ich hatte endlich die entsprechende Funktion wiederentdeckt. Ganz oben im Rund der letzten Kurve hatten wir das große Glück ebenen Boden zu finden, viele mussten auf einer Schräge schlafen (es heisst nicht umsonst Bergring). Trotz all der automobilen Einzelstücke fielen unsere Leichenwagen immer wieder auf. Ist jetzt halt doch nicht so ein alltägliches Automobil, selbst an einem solchen Ort.
Die anschließende Runde durch Campinggelände und das Fahrerlager offenbarte mir als völlig Fremden das Wattie und Anne hier ordentlich bekannt sind. Sie sind nicht das erste Mal dort, viele Menschen kommen aus Rostock und Umgebung dorthin und Rostock scheint jetzt keine Riesenstadt zu sein so daß man sich kennt (Wikipedia sagt 206.000 Einwohner_innen). Wenn ich daran denke wie man sich in Duisburg mit knapp 500.000 Einwohner_innen schon am laufendem Band begegnet und auf die Füße getreten ist so ist dieses Festival/Rennen in Teterow wahrscheinlich ein hochkonzentriertes Rostocker Sozialleben – wenn man was mit alten Autos und/oder Rock´n´Roll zu tun hat. Erfrischend fand ich, das der Schwerpunkt wirklich auf alten Autos und Motorrädern liegt. Ich hätte vermutet, die Tiefer-Härter-Breiter-Fraktion mit ihren einfallslosen Plastikautos auch anzutreffen, aber dem war nicht so. Überhaupt: keine Burnouts, keine nervigen Bierkisten-Moppeds oder anderes. Auf dem Gelände tatsächlich viel Ruhe und Entspannung. Und Stroh. Das lag überall, die Wiese war irgendwann mal gemäht worden und einfach alles liegen gelassen. Das sollte auch noch ein Problem werden.
Erst einmal abhängen mit Wattie, Anne und Menschen, viel Gespräche über Autos, TÜV und dadurch verursachte Leidenswege. Im Hintergrund immer wieder V8-Bollern und Rock-n-Roll-Musik. Eine wirklich einmalige und besuchenswerte Atmosphäre. Irgendwann war bei mir aber der Ofen aus, zwei Tage lange Strecken Autofahren in Folge forderten ihren Tribut und so machte ich mir die Isomatte hinten im Volvo fertig. Die Nacht war okay, ich habe ganz gut geschlafen aber wieder dazu gelernt: unsere hinteren Kotflügel sind furchtbare Kältebrücken und Isomatte ist nicht wirklich top. Deswegen ist der Plan jetzt endgültig fertig: über den Kotflügeln wird eine Ebene über die gesamte Länge eingezogen. Dadurch entstehen 1,40mx2m Liegefläche, also perfekt für eine Matratze. über Klappen zugänglich wird unter der Ebene Stauraum sein. Nur über die Möglichkeit der Belüftung und der Verdunklung muss ich noch nachdenken.
Samstag war Renntag. Nach Katzenwäsche und Hotdog-Frühstück stellten wir uns an den Hang zu unserer Wiese. Von dort konnten wir sowohl die Zufahrt zum hintersten Kurvenkreisel der Rennstecke als auch deren Abfahrt über eine Sprungkuppe gut beobachten. Offizielles Ziel des Rennens ist es, in drei Läufen zwei möglichst gleichmäßige Runden zu fahren. Inoffizielles Ziel scheint aber viel mehr zu sein, ziemlich alte Autos und Motorräder über diesen außergewöhnlichen Track zu prügeln und dabei eine Menge Spaß zu haben. Insgesamt ein beeindruckendes Spektakel, sehr laut und sehr staubig. Jedenfalls bis der Regen einsetzte und so viel und stark wurde dass das Rennen abgebrochen wurde. Es regnete sich dann auch zusehends fest, wir suchten unter der Kofferraumklappe vom Volvo Schutz. Zu uns gesellte sich noch ein Pärchen die ebenfalls einen Volvo 145 besitzen und diesen zur Zeit verkaufen wollen. Volvo-Gespräche waren die Folge. Irgendwann hörte der Regen auf und aus Stroh und Wiese wurde Pampe. Fast sofort versuchte ein Golf 5 den Platz zu verlassen, das Ergebnis war ein den Hang runterrutschender Golf und eine aufgerissene und zu Matsch verwandelte Grasnarbe. Ein zweites Auto gab noch sein Bestes, ebenfalls nicht erfolgreich und als dann noch ein Bulli sich auf dem Hang querstellte und festfuhr war klar das wir auf diesem Weg nicht mehr vom Platz kommen. Gleichzeitig zeigte das Wetterradar für den Abend und vor allem für den gesamten Sonntag heftige Unwetter an. Die Ordnungsleute öffneten zwischenzeitlich einen Notausgang vom Platz über die Rennstrecke in den Wald so dass ich mich kurzfristig am Samstag Abend entschloß aufzubrechen. Die Aussicht am Sonntag im Matsch festzustecken und auf einen Schlepper zu warten um dann noch acht Stunden Fahrt durch Unwetter zu haben fand ich nur semiattraktiv. Der Nachteil: ein völlig entspanntes und schönes Wochenende fand ein rapides Ende. Ganz lieben Dank noch mal an Wattie und Anne für diesen „Kurzurlaub“ und eine gute Zeit miteinander. Ich habe den Verdacht und die Hoffnung, dass das wiederholt wird.
Die Rückfahrt selber führte über Autobahnen Richtung Hamburg und dann die A1 runter. Vollkommen unspektakulär und langweilig bis auf das beeindruckende Wetterleuchten (das ich im Zeitraffer auf Video aufgenommen habe) hinter Bremen.
Last but not least lohnt sich ein Blick auf unsere Spendensammlung: wir haben in einem Monat seit Veröffentlichung bis heute insgesamt 644€ gesammelt! Ganz lieben Dank an alle 16 Spender_innen – ihr seid großartig und dieses Ergebnis ist großartig! Wer noch spenden will kann dies natürlich immer noch hier tun, die Sammlung läuft noch ein Jahr!
Eine mögliche logische Konsequenz aus diesem Trip: mit dem Lotto-spielen beginnen, lieber Matthes.Die Treffsicherheit, mit der Du auf Deinen Touren die traurigsten Hirnis trifft, könnte ja auch mal umgekehrt, also positiv wirken. Selbst wenn es nicht die volle Million werden wird, bleibt bestimmt genug für einen Hirschfänger-Nachrüstsatz, der zu einem Volvo-Leichenwagen passt. Der hielte dumme Böcke aller Art auf Abstand – hoffentlich.
Allzeit weiterhin gute Fahrt und Begegnungen. LG v Andreas
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Das traurige ist doch: das habe ich bereits getan. Und auch mal eine handvoll Richtige gehabt. Leider war der Gewinn nur ausreichend für einen neuen Lotto-Schein. Somit bleibt also nichts als den Bauern aus dem Weg zu gehen und sie ansonsten mit stoischer Gelassenheit zu ertragen.
Denn eines zeigen die Touren durch die ganze Welt ja deutlich: die Ottos sind schon lange vor einem da.
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