Von Saint-Paul-sur-Ubaye zum Camping Municipal La Virette in Le Sappey-en-Chartreuse
232km gefahren
Um 11:00 Uhr gestartet, angekommen um 18:00 Uhr
28l getankt
Eine Pipipause, eine Aussichtspause, eine CoolDown-Pause

Der Tag beginnt verfroren. In der Nacht ist die Temperatur auf unter 10 Grad gefallen, entsprechend kalt ist es in den Zelten. Die Schlafsäcke halten uns gut warm, die Entscheidung aufzustehen schieben wir aber weitest möglich nach hinten in der Hoffnung, dass die Sonne den Platz ein wenig anwärmt. So richtig klappt das nicht, 2/3 der Crew geben sich eine Morgendusche im zugigen Sanitärhaus und dann kommt die Sonne so langsam über die Berge. Und entfaltet sofort volle Kraft. Frühstück geht also schon ohne Zittern.
Für heute haben wir uns einen Spot vorgenommen und wählen – Überraschung – den langen Weg. Heute geben wir uns die volle Dröhnung französische Alpen und hoffen auf Gutes. Und werden völlig erschlagen.

Wir starten auf der D902, die Teil der Route des Grandes Alps (der wir fast den ganzen Tag folgen werden) ist, und überqueren den Col de Vars. Die ganze Strecke über (und das soll den Tag komplett bleiben) begleiten uns stark eisenhaltige Felsen. Sie sind oxidiert, teilweise komplett rot, teilweise in Schichten verfärbt. Am Strassenrand ist fast durchgängig rostiger Staub. Die Strecke führt uns durch den Nationalpark Queyras mit seinen über 20 3000er-Gipfeln bis kurz vor die italienische Grenze.

Wir klettern durch die Casse Déserte, eine trockene Verwitterungslandschaft mit Schutthalden und Felsnadeln, die D902 hoch auf den Col d‘Izoard. Unglaublich viele Radfahrer begleiten uns, die Passstrasse ist beidseitig mit Fahrradspuren ausgebaut und immer wieder Teil der Tour de France. Die Berge um uns herum sind unglaublich beeindruckend. Wenn wir die letzten Tage für Bergbeschreibungen aus Superlativen geschöpft haben so toppen die Hautes-Alpes alles. Das ist der Wahnsinn. Wenn wir bisher verliebt waren sind wir jetzt blown away. Fahrt dahin.

Kurz vor der Passscheide gabelt Micha einen Anhalter auf. Er ist Local und fährt morgens mit dem Auto auf den Pass, trampt runter und wandert wieder hoch. Die letzten paar Meter hatte er keinen Bock mehr, es gibt keine Wanderwege und die Strasse war rappelvoll so dass es als Fussgänger keinen Spaß macht. Als wir an einer schönen Stelle einen Fotostop trotz Halteverbot einlegen protestiert er. Das sei die Todesecke, hier würden regelmäßig Touristen von herabfallenden Felsbrocken erschlagen. Da haben wir wenig Lust drauf, also fahren wir schnell weiter.

Bei der Abfahrt hat Matthias einen Flashback: beim European Mountain Summit ist er mit Hinne diesen Pass aus Norden kommend gefahren. Und hier riss ihm das Kupplungsseil. Auf dem Parkplatz des Refugium de Napoleon wurde damals repariert, heute ein Abkühl- und Pipistop eingelegt. Die Abfahrt Richting Norden ist gemütlich, die Bremsen beim Volvo laufen nicht heiss und wir genießen die Aussicht. Jede Kurve mindblowing.

Wir fahren an Briançon am Col de Montgenevre vorbei, einer Festungsstadt die mit ihrer Verbindungslage zwischen Rhonetal und Poebene bereits für die antiken Römer strategische Bedeutung hatte. Die aktuell zu sehende Festung mit einigen Aussenfestungen basiert auf einer Planung und Bau aus dem 17. Jahrhundert und hat in dieser Form sowohl 1815 den Österreichern als auch 1940 den Italienern stand gehalten. Inzwischen ist sie Teil des UNESCO-Weltkulturerbe „Festungsanlagen von Vauban“. Die verlassen aussehende Festung oberhalb des Dorfes weckt jedenfalls die Lust auf LostPlaces.
Wir tanken voll, vor uns liegt die D1091 und der Col de Lautaret. Der Pass ist ebenfalls eine Etappe der Tour der France, heute begleiten uns die Rennradfahrenden sehr intensiv. Wir sind sehr gespannt auf den Pass, die Streckenführung ist wieder eng, aber gut zu fahren. Vom Pass aus hat man einen beeindruckenden Blick auf die schneebedeckte Meije, 3983 Mezer hoch. Die Meije ist von mächtigen Gletschern umlagert, in den unteren Teilen zeugen Wasserfälle und Gebirgsbäche von etlichem Tauwasser. Auf der Abfahrt kommen wir am Stausee Lac du Chambon vorbei, türkisblaues Wasser lässt Karibik-Stimmung aufkommen. Auch hier stürzen sich riesige Wasserfälle den Berg hinab. Wir lassen die Bremsen abkühlen und geniessen den Ausblick.

Eigentlich wollten wir ab dort der D1091 weiter folgen, biegen aber einer spontanen Eingebung folgend in Le Freney d‘Oisans auf die D211A ab und landen auf der Krönung aller Gebirgsstrassen. Die ein Auto breite Route de la Roche d‘Auris (oder Auris Balcony Road) windet sich mit gerade mal schienbeinhohen „Abgrenzungen“ erst den Berg hoch um dann auf einem schmalen Streifen Asphalt der balkonartig in 200 bis 500 Metern Höhe am Fels hängt ca. 16 Kilometer bis La Ville zum Abstieg zu verlaufen. Ab und an gibt es Ausscherungen, grade mal so breit dass sich zwei Autos aneinander vorbeiquetschen können. Das bedeutet: wenn man sich begegnet muss einer zurücksetzen. Mit Blick ins Nichts. Zum Glück bleibt uns das erspart, wir teilen uns die Strasse nur mit einigen Fahrradfahrenden. Als wäre das alles nicht genug sind auf der Strasse auch noch drei Tunnel, grob in den Fels geschlagen, mit Kurve. Diese Strasse verzeiht keine Fehler. Ab L‘armentier le Haute wird die Strasse breiter, es gibt wieder Bäume und man kann wieder entspannter fahren. Letzten Endes landen wir auf der regulären D211 der wir zurück zur D1091 folgen.


Wir fahren Richtung Grenoble und finden kurz vorher unseren Spot des Tages: Livet-et-Gavet, einen kleinen Ort links und rechts der D1091 mit ca. 1312 Einwohner_innen. Der Ort selber ist teilweise verlassen, uns interessieren vor allem das alte Elektrizitätswerk (leider nicht zugänglich) und eine eigentlich leerstehende Villa auf Stelzen direkt am Romanche, jenem Fluss der auch den Lac du Chambon speist. Die Villa scheint in Teilen bewohnt, um reguläre Mietverhältnisse kann es sich angesichts lose durch das Treppenhaus verlegter Strom- und Wasserleitungen nicht handeln. Über einen Zaun kommen wir auf das Grundstück und durch eine offene Tür ins Treppenhaus. Die Wohnungstüren sind verschlossen, nur eine Wohnung ist zugänglich. Einrichtung ist hier keine mehr, wir bewundern Ausblick aus der Wohnung und Tapezierungen. Leider kommen wir in die beiden Stelzenausleger nicht rein, sie sind mit Stahltüren verrammelt. Es gibt zwar ein paar Leitern auf deren Dächer, die sehen aber nicht sehr vertrauenswürdig aus. Da wir auch immer wieder Geräusche aus den Wohnungen hören und niemandem unangenehm auffallen wollen treten wir den Rückweg an.

Von Livet-et-Gavet aus fahren wir auf direktem Weg nach Grenoble, im Nordosten der Stadt unterhalb des Chamechaudes haben wir einen kleinen Campingplatz gefunden auf dem wir auf ca. 1000m Höhe die Nacht verbringen werden. Die Wetterdienste versprechen uns, dass diese nicht so kalt wie die Letzte werden soll.
