Tag 5 – Gas. Gas. Bremse. Einlenken. Gas. Gegenlenken. Gas. Kein Gas. Gegenlenken.

von Matfors bis Umeå

gefahrene Kilometer: 357

Roadtime: 6,5 Stunden

Temperatur: -2 bis -5 Grad

Getankt: 39l

2x Pipipause, 1x Fotostop für das Themenmotiv „Ostsee mit Schnee“, 1x Kombipause Pipi und Luftdruck, 1x Fotostop für das Themenmotiv „Ostsee mit Wasser und Wellen und Leuchtturm“

Reparaturen: keine. Warum auch immer. Die Tankanzeige hat offensichtlich weiterhin Angst vor Dresche.

Wie gestern bereits beschrieben: das Badezimmer unserer Unterkunft in Matfors war überraschenderweise im Haupthaus – man musste also raus in die Kälte. Unsere größte Sorge für die Nacht trat aber nicht ein, niemand von uns musste raus. Was gut war denn es hat die Nacht über kräftig geschneit. Gute zehn Zentimeter Neuschnee liegen auf der Leiche und was wir jetzt noch nicht wissen: es wird den ganzen Tag nicht aufhören zu schneien.

Nachdem wir geduscht haben checken wir den Kühlschrank und das darin bereit gestellte Frühstück aus und sind sehr froh, selber noch etwas dabei zu haben. Das ist sehr überschaubar. Der O-Saft reicht nicht für zwei Gläser, es gibt vier abgezählte superdünne Scheiben Truthahn-Brust, so komische Weissmehl-Toasties – aber es gibt keinen Toaster. Selbst das bereitgestellte Wasser (das Zimmer hat noch nicht einmal ein Waschbecken) reicht entweder für zwei Kaffee oder für zwei Gläser „Swedish Saft“, ein Konzentrat aus Irgendwas und Zimt. Selbst der Honig mit stolzer Beschriftung „aus eigener Herstellung“ ist so überschauber, dass er genau für ein Brot reicht. Unterm Strich sind wir diese Nacht also in einer hübsch gelegenen Durchreise-Abzocke abgestiegen. Das Geschäftsmodell beruht auf fünf Säulen: guter Kurs, Vorkasse, „Besonderheiten“ verschweigen, keinen persönlichen Kontakt und darauf spekulieren, dass die spät Anreisenden Abends nicht noch umdisponieren können. Und selbst wenn: Vorkasse. Wären wir bei der Buchung nicht so müde gewesen hätten wir das in den detaillierten Bewertungen gesehen, wir haben uns nur schnell die Scores angeguckt. Also irgendwie auch selber schuld.

Während wir Frühstücken liegen schon wieder gute drei bis vier Zentimeter Schnee auf dem grade freigeräumten Auto, das merken wir uns auf jeden Fall. Immer erst frei räumen wenn man unmittelbar losfahren will. Saufroh sind wir jedenfalls, dass wir bereits gestern Mittag die Spikereifen aufgezogen haben. Die werden wir heute ganz sicher brauchen, alleine schon um aus der Talsenke von Matfors wieder rauszukommen. Die jetzt, im dichten Schneegestöber zu montieren wäre richtiger Abfuck geworden. So fahren wir tatsächlich sehr entspannt den Berg rauf, biegen auf die E14 Richtung Osten ab um bei Högom auf die kleine 86 Richtung Norden zu fahren. Diese führt uns um Sundsvall herum, wir schenken uns den Stadtverkehr und nehmen ab Birsta die E4. Die E4, wieder eine dieser mal Autobahn, mal Landstrasse Dinger (so richtig unterscheidet sich das eh nicht, weder baulich noch erlaubte Maximalgeschwindigkeit) wird heute und morgen, vielleicht sogar noch Übermorgen unsere Strasse sein. Sie startet ganz im Süden von Schweden am Hafen von Helsingbor, führt dann durch die Mitte von Südschweden nach Jönköping am Ostufer des Vätternsees entlang um letztendlich kurz vor Stockholm an die Ostseeküste zu stossen. Jedenfalls näherungsweise. Dieser folgt sie dann Richtung Norden, spätestens ab Sundsvall regelmäßig in Sichtweite zum Meer. An der Ostsee entlang läuft die E4 bis zum schwedischen Grenzübergang Haparanda, in Finnland endete sie dann direkt an der E8. Mit diesem Streckenverlauf ist die E4 die zweitlängste schwedische Europastrasse nach der E45. Diese beginnt in Alta (Norwegen) und endet in Gela an der Südküste Siziliens (während ich das schreibe: das könnte auch ein netter Trip sein).

Während wir also der E4 Richtung Norden folgen begleitet uns ein durchgehend grauer Himmel aus dem unablässlich ein dichtes Schneegestöber fällt. Der Schnee selber ist sehr fein und leicht, haftet aber über kurz oder lang trotzdem überall fest und nach und nach haben wir volle Radkästen, große Eisblöcke an den Mudflaps, zugefrorene Scheinwerfer (ich dachte ja immer, Halogen brennt sich selbstständig frei) und undurchsichtige Scheiben. Vor allem an der Heckklappe türmt sich hochgesaugter Schnee.

Überhaupt nicht auf dem Schirm hatten wir die Högakustenbron. Die 1997 eröffnete Hängebrücke über den Fluss Ångermanälven taucht plötzlich im Schneetreiben vor uns auf und mindestens der brückophile Matthias ist in love. Ihre Stützpfeiler sind 186m hoch und damit das zweithöchste Bauwerk Schwedens, simpel gestaltete Betonpfeiler die erst kurz unter der Spitze querverbunden sind. Dadurch bekommt die Brücke eine lichte und freie Eleganz, die besonders bei der über 2 Minuten langen Überquerung beeindruckt. Die Brücke ist mit 1210m Stützweite fast ebenso lang wie die Golden Gate Bridge, die Gesamtlänge sind ganze 1867m. Hinter der Brücke biegen wir kurz ab ins Naturreservat Skuleskogen rund um den Skuleberg. Die Ostsee ist hier komplett zugefroren, im Schneegestöber kann man schemenhaft die Schäreninseln erkennen. So richtig ist das für uns nicht fassbar: ein Meer. Zugefroren. Mit Autospuren kreuz und quer, offenbar nutzen die Menschen die Winterzeit um Material auf die Schären zu transportieren.

So einen richtig guten Fotospot finden wir aber nicht, außerdem entwickelt sich der „wir biegen mal kurz in den Nationalpark ab“-Weg zu einem fast zweistündigen Umweg. Wir checken noch einmal die Karten und peilen jetzt den Leuchtturm von Korgubben an. Dieser liegt hinter dem kleinen Fischerdörfchen Skeppsmalen. Wir bemerken einen Reihenfolge-Fehler bei den GoogleMaps-Zielen erst etwas spät und biegen deswegen erst bei Gideåbacka an Husums Automobilklubb vorbei in die Västernorrlans Län ein. Ab hier führt uns der Weg über die „Orte“ Kasabacka, Västerstensäter, Vike, vorbei an Ultrå (Forza!), Skede und Finna. Hier bekommen wir die volle Dröhnung schwedische Backroads. Eine mehrere Zentimeter dicke Eisschicht, mal blank zu sehen, mal von ebenfalls bis zu mehreren Zentimeter dickem Schnee bedeckt. Dieser mal weich und locker (was einen aquaplanning-ähnlichen Effekt hat wenn man zu schnell durchfährt), mal fest gefahren. Zusätzlich ist es für eine Halbinsel recht bergig, es geht also rauf, runter, links, rechts. Macht einen Höllenspaß zu fahren, auch bei diesen Bedingungen. Außer es kommt einem auf den ohne Schnee bereits recht schmalen Strassen ein LKW entgegen. Ohne zu Bremsen. Die Jungs und Mädels hier wissen halt was geht – wir aber nicht. Da geht einem schon zwischendurch mal die Düse. Zusätzlich bringen diese Strassenbedingungen Matthias auch an die Grenzen seines fahrerischen Könnens. So viel Erfahrung mit Schnee und Eis sammelt man als Rhein-Ruhrländer nun mal nicht. Entsprechend lassen wir es grundsätzlich ruhig angehen. Schließlich wollen wir den 50. in Göteborg mit einem knitterfreien Auto feiern.

Wir parken unten im Dorf und laufen auf den Berg zum Leuchtturm. Dieser ist an und für sich unspektakulär, die Felsenküste davor kann dafür umso mehr. Eine riesige Halde aus Felsbrocken ergießt sich ins Meer. Die Ostsee ist hier nicht gefroren sondern schwarz, schaumig und geht nahtlos in den dunkelgrauen Himmel über. Zwischen den Felsen sind blanke Eisflächen, an den Felsen türmen sich die Schneewehen. Und hinter Dem Leuchtturm beginnt der omnipräsente schwedische Wald. Dicke Schneeflocken treiben durch die Luft und gefrieren in Bart und Haaren, der Wind sorgt dafür, dass man kaum gegen ihn gucken kann, so sehr treibt er einem den Schnee in die Augen. Ein toller Ort. Hier ist Naturgewalt in einem Maß spürbar, wie es für uns stadtsozialisierte Menschen nur selten möglich ist.

Umso froher sind wir, wieder in unsere kleine, windschützende Metallbüchse zu steigen, den Motor anzuwerfen und warme Luft aus den Ausströmdüsen pusten zu lassen. Bevor wir losfahren kurzer Motorraum-Check: alles sieht okay aus, nur der feine Schnee, der hat es wirklich in fast jede Ecke geschafft. GoogleMaps bekommt die Ansage uns ohne große Umwege zum Hotel nach Umeå zu führen, diesmal wählt der Algorithmus den Rückweg über Banafjäl, das spart einige Strecke auf den schwedischen Backroads. Und somit wieder zurück auf die E4 Richtung Norden.

Bis Umeå spulen wir einfach nur Kilometer. Wobei „einfach“ ist so einfach gesagt. Inzwischen ist auch die Europastrasse im Prinzip gänzlich zugeschneit. Wir fahren irgendwas zwischen 80 und 90 km/h – auf deutschen Strassen würden alle den Kopf schütteln. Weil Eis und Schnee und so schnell. Hier in Schweden schütteln auch alle den Kopf über uns. Weil Eis und Schnee kein Grund für so langsam sind. Eines muß man aber anmerken: niemand drängelt oder nervt rum. Nur bei der ersten sich bietenden Gelegenheit knallen sie dann an Dir vorbei. mit irgendwas zwischen 110 und 130. Die Blitzen sind egal, das vordere Nummernschild ist eh zugefroren. Und diese Geschwindigkeiten gelten nicht nur für PKW, auch schwedische Lang-LKW (über 25m lange Züge bestehend aus einem LKW mit Untersetzachse plus einem Sattelplattenanhänger auf dem ein regulärer Sattelanhänger aufghängt ist. Zum Vergleich: So ein normaler Sattelzug in Deutschland ist maximal 17,88m lang). Ich schrieb es bereits: die Jungs und Mädels hier wissen schon was sie tun. Uns geht trotzdem die Düse.

Unser Hotel in Umeå liegt fast direkt am Fluss Ume Älv. Wir checken ein und buchen einen Parkplatz im Parkhaus mit Landstromanschluss für die Motorvorwärmung. Um zu diesem zu kommen fahren wir im Parkhaus einen ganzen Kilometer (ohne uns zu verfahren!), dafür fährt der Lift vom Parkplatz fast bis vor die Zimmertür. Die Zeitschaltuhr für den Landstromanschluß verstehen wir nicht. Wirklich nicht. Selbst mit Übersetzungshilfe nicht. Also hängt der Volvo 145 Express jetzt zwar schon einmal an der Steckdose, morgen früh wird vor dem Frühstück der Strom einfach von Hand auf Go geschaltet. Wir tragen unseren ganzen einfrierbaren Kram (Vorräte, Getränke und so) ins Hotelzimmer und machen uns auf die Suche nach etwas zu Essen. Das vorab rausgesuchte Restaurant gibt es nicht mehr (Anzeige ist raus. Also bei Google.), wir finden guten Ersatz und essen hippe Bowls. Anschließend kurzer Spaziergang zum Ume Älv der komplett zugefroren ist. Sein Flussdelta ist Teil der Ramsar-Konvention, einem Schutzübereinkommen über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel. Die sehen wir natürlich nicht. Es ist schließlich dunkel UND Winter. Was wir sehen ist die Gamla Bron, Umeås älteste Brücke. Sie ist 301m lang, 1863 gebaut. Über neun im Fluss stehende Füsse spannen sich zehn Fachwerkbrückenelemente 301m lang über den Fluss. Die Brücke wird heute von Fussgänger:innen und Radfahrenden genutzt und ist durch ihre Beleuchtung grade nachts und über einem zugefrorenem Fluss ein tolles Fotomotiv. Von dort gehen wir zurück ins Hotel und Katrin checkt noch die Sauna auf dem Dach mit Blick über die Stadt und den Fluss aus. Der letzte Tag in der Küstenregion der Ostsee steht vor der Tür.

Kleiner Werbeblock noch: bei Facebook und Instagram findet man uns auch. Einfach nach @likedeelerblog suchen. Da laden wir auch ein paar Fotos hoch und versuchen das mit den Stories. Ohne Anspruch auf supi SocialMedia-Skills.

Und noch ein kleiner Hinweis: der Blog wird hier am Ende eines jeden Tages gepflegt. Das ist noch mal extra Arbeit nach viel Aufregung und Anstrengung. Seht uns also bitte komisch formulierte Sätze, grammatikalische Ungenauigkeiten oder so nach. Mit klarem Kopf könnten wir das besser;)

3 Kommentare

  1. Hallo Ihr drei Abenteurer, ich sitze seit Stunden vor der geöffneten Tiefkühlschranktür, um mit einem frostigen Näschen Eure tolle Tourbeschreibung nachempfinden zu können. Die Pieptöne und Leuchtsignale wirken volvo-like und die zunehmende Vereisung vermittelt beinahe Nordland-Feeling. Na ja, so ungefähr. Bis jetzt ist jedenfalls noch kein schwerer LKW entgegengekommen.
    Ganz ehrlich: Eure Tourbeschreibung ist Euch sehr gut gelungen. Die wortmalerische Beschreibung der angefrorenen Ostsee ist herrlich. Dass Ihr so unwirtlichen Wetterbedingungen noch etwas Schönes abgewinnen könnt, ist allerdings sehr bewundernswert- und in meinem Selbstversuch wohl kaum kopierbar. Bleibt cool 😂 und gesund. HG v Andreas

    Gefällt 1 Person

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