Tag 6 – Bürotag

von Umeå bis Karlsvik

gefahrene km: 323

Roadtime: 8 Stunden

Temperatur: -5 und -8 Grad

23l getankt

eine Museumspause für zwei Stunden, 40 Minuten Stop im Naturreservat, ein Supermarktstop, eine Tankpause, eine Pipipause

Reparaturen: keine *klopfaufholz*

Die Nacht war etwas durchwachsen. Das Hotel große Klasse, leider außer uns komplett voll mit Teilnehmern (bewußt ungegendert) der Winterausgabe des niederländischen Carbage Run. Der Carbage Run ist ein automobiler, niederländischer Junggesellenabschied auf Crystal Meth – zum guten Ton gehören möglichste laute und auffällige Autos, pro Auto fünftausend Bliunklichter und mindestens eine LaCocaracha-Hupe. Während es im Hotel relativ ruhig blieb kreisten die Autos gefühlt die ganze Nacht um das Hotel herum. Großer Spaß.

Ein bisschen gerädert starten wir also in den Tag, die Runner mussten alle früh los und so haben wir das gute Frühstücksbuffet (minus Kaffee, der war echt gewöhnungsbedürftig) für uns. Auch hier wieder völlig stressfrei integriert die Abteilung für Nahrungsmittelallergien. Vor dem Frühstücksbuffet macht Matthias einen Abstecher ins Parkhaus, misst einmal die Batterie durch (13V – gut!)und schmeisst die komische Landstromversorgung an. Das klappt auch. Was nicht klappt: das Matthias daran denkt, die Motorvorwärmung im Auto zuzuschalten. Der Landstromanschluß besteht im Prinzip aus drei Komponenten: zwei Steckdosen im Innenraum, einem Ladegerät für die Starterbatterie und dem Motorvorwärmer. An den beiden Steckdosen hängt einmal ein Ladegerät für die Aufbaubatterie und zum anderen ein Innenraumheizlüfter. Damit wir das ganze System auch zum Camping oder zum Batterien laden während langer Standzeiten in der Garage nutzen können ist der Motorvorwärmer noch über ein Relais geschaltet. Normalerweise schaltet dieses Relais eine Zeitschaltuhr (oder sogar eine Funk- oder ganz fancy App-Fernbedienung), für unsere Nutzung waren uns 250€ aufwärts dafür aber zuviel. Also wird das Relais über einen simplen Kippschalter geschaltet. Den muss man dann aber auch bedienen.

Beim Frühstück planen wir die Route für morgen, aus vergangenen Pannensituationen wissen wir, dass die bekannten Pannenhelfer einem bezüglich Unterkunft nur weiterhelfen wenn man bereits etwas gebucht hat. In der Vergangenheit hatten wir das nicht und haben dann bezüglich Pennplatz ziemlich im Regen gestanden. Das kann im Sommer in Italien nicht ganz so stressig sein, im Winter in Skandinavien haben wir da echt keinen Bock drauf. Also fahren wir nicht wie in der Vergangenheit unseren eigenen Rhythmus und gucken unterwegs wo wir schlafen (was richtig gute Spots hervorbringen kann – aber auch richtig schlechte) sondern haben bei Abfahrt immer die nächsten beiden Nächte bereits gebucht. Nimmt irgendwie die Spontaneität, dafür haben wir aber auch einen Pennplatz am Abend safe und müssen nicht rumsuchen.

Nach dem guten Frühstück fahren wir erneut einen Kilometer durch das Parkhaus und fahren zum Västerbottens Museum mit dem Gammlia Friluftsmuseum. Ersteres ist ein Kulturmuseum, letzteres eine Rekonstruktion aus mehreren Sami-Dörfern, also originale Hütten und Häuser die abgebaut und dort wieder aufgebaut und konserviert wurden. Wir schlendern zuerst durch das verschneite Freiluftmuseum, leider sind keine Häuser offen, geschweige denn überhaupt zugänglich denn der Schnee türmt sich wirklich hoch. Trotzdem bekommen wir einen Eindruck von der Bauweise rudimentärer mit Grassoden bedeckter Hütten bis hin zu großen Holzhäusern und Dorftanzplätzen. Gegen Ende trteffen wir auf eine alte Dame die mit uns offensichtlich quatschen will. Unser zaghaftes „Sorry, we don´t speak swedish“ konntert sie mit fließendem und sauberem Englisch. Es ist wirklich immer beeindruckend, wie verbreitet Englisch in Schweden ist und wie gut die Menschen es sprechen. Das macht Reisen hier sehr angenehm. Also schnacken wir kurz auf Englisch, erfahren alles über die Herausforderungen von Schnee und Eis wenn man nur noch schlecht gehen kann und dass das aber kein Grund ist, nicht rauszugehen, die Natur sei viel zu schön fürs drinnen bleiben. Außerdem bekommen wir noch wertvolle Tips für die weitere Fahrt (Vorsicht vor den LKW! Die fahren wie die Irren und dann stellen sie sich quer und dann steckt man in einer Streckensperrung.)

Das Västerbottens Museum zeigt Kultur und Geschichte von und aus Umeå. Eine sehr liebevolle Ausstellung zur Stadtgeschichte und -entwicklung, zeitgenössische Kunst und Musik aus Umeå, eine Dokumentation über den Widerstand gegen die Nazis und Gegenstände und Fotos aus den Jahrzehnten in Umeå seit 1900. Auch dieses Museum ist komplett kostenfrei. Es ist toll, wie Kunst und Kultur in Schweden allen ermöglicht wird und keine Barrieren über Preise eingezogen werden. Apropos Barrieren: was uns in Schweden auch aufgefallen ist, ist die physische Barrierefreiheit. Selbst in und an alten oder älteren Gebäuden sind Möglichkeiten für Rollstuhlzugang geschaffen, häufig gibt es elektrische Türöffner mit Knöpfen in entsprechender Höhe, Türen und Gänge sind ausreichend dimensioniert. Es funktioniert also ein Lebensumfeld zu schaffen, das Inklusion nicht nur als Konzept, sondern als gelebte Praxis hat.

Auf unserem Weg zurück zur E4 haben wir einige Lehrstücke in Sachen „kreative Ladungssicherung“ vor uns. Ein PKW fährt mit offenem Kofferraum (bei immerhin -5 Grad) um einige Holzlatten zu transportieren, ein LKW hat seine Heckklappe gleich ganz weggelassen, er transportiert ja schließlich nur große Massen Schnee, das fällt garnicht auf wenn er etwas davon verlöre. Wir halten Abstand und haben die Lehrstunde eines rumänischen LKW-Fahrers für einen Freund (winkewinke!) der mit nicht kleinen oder leichten Metallstücken arbeitet im Ohr: mit Ladungssicherung soll man es nicht übertreiben. Wir checken beim nächsten Halt sicherheitshalber nochmal unsere Zurrgurte.

Bei Anäset gehen vor uns auf einmal Bremslichter und Warnblinker an, innerlich zucken wir zusammen und hoffen auf keinen quergestellten LKW. Bis wir sehen, warum alle ganz langsam und vorsichtig fahren: auf der E4 sind Rentiere unterwegs. Sie haben Halsbänder und Glocken um, aber niemand begleitet sie. Ganz entspannt trotten sie die Europastrasse entlang und suchen sich ohne Hektik eine gute Stelle über die Leitplanke zurück in die Natur. Und der ganze Verkehr nimmt Rücksicht und wartet zur Not eben.

Unser nächstes Ziel ist das Bjuröklubb Naturreservat. Dieses liegt auf der Halbinsel Bjurön und ist der östlichste Punkt von Västerbotten. Das Naturreservat mit seinem subarktischem Klima ist im Sommer besonders für seine Blumenvielfalt und die Menge an unterschiedlichen Vogelarten bekannt. Nichts davon sehen wir jetzt, dafür wieder einmal eine endlos scheinende Schnee- und Eispiste bis in die Spitze der Halbinsel. Dort stellen wir das Auto ab, machen ein paar Fotos und da der Wind nicht ganz so stark bläst und es fast nicht schneit, versucht Matthias einen Drohnenflug. Der erste Versuch scheitert durch eine von der Drohne selbst initiierte Notlandung. Der Akku hat innerhalb von Minuten die Grätsche gemacht. Der zweite Akku hält ein wenig länger durch, weit raus über die Ostssee zu fliegen traut Matthias sich aber dann doch nicht. So bleibt es bei einigen Fotos.

Wir laufen über den ab hier ungeräumten Weg durch knöcheltiefen Schnee noch Richtung Leuchtturm, kommen aber nur bis zum Bootsanleger, danach wird der Schnee bis zu knietief. Dafür sind wir nicht richtig ausgestattet. Da hier aber nicht geräumt wird, entdecken wir viele Tierspuren im Schnee, unter anderem auch Elchspuren. Irgendwie gehört es durchaus auch zu unserer Bucketlist dieser Tour, freilebende Elche zu sehen, vielleicht klappt das ja. Was wir wahrscheinlich auch heute nicht von der Bucketlist streichen werden, sind Polarlichter. Die Wahrscheinlichkeit ist in unserer Region recht begrenzt und on top verziehen sich die dichten Schneewolken nicht. Katrin checkt auf dem Rückweg zur E4 die Aurora Borealis-Apps und attestiert, dass wir wahrscheinlich am ehesten auf den Etappen ab Alta bis Jokkmokk eine Chance haben.

Während wir noch darüber sprechen, steht vor uns ein Postauto halb im Graben, der Postbote ist mit einer Schaufel zugange. Anders als die Schweden vor und hinter uns halten wir an und bieten Hilfe an, die er gerne annimmt. Mit schiebender Unterstützung geht es im Rückwärtsgang aus dem Graben raus, das hätte mit der Schaufel deutlich länger gebraucht. Was wir uns fragen: die Situation, mal im Graben zu stecken, kennt doch wahrscheinlich jede:r hier. Warum hält man dann nicht kurz an? Wir haben keine drei Minuten gehalten und einem Postboten ganz bestimmt den Arbeitstag gerettet. Wahrscheinlich klassischer Fall von Verantwortungsdiffusion.

Wir biegen noch einmal in Bureå kurz von der E4 ab und machen Halt am örtlichen Coop. Wir brauchen neue Getränke und Kartoffeln fürs Abendsessen. Neben den Kartoffeln und Getränken finden wir auch eine umfassende Auswahl alkoholfreier Biere und glutenfreier Snacks, wir nehmen eine Auswahl mit.

Mit Beginn der Norrbottens Iän kommt von der Ostsee hefitger Wind, gleichzeitig setzt der Schneefall wieder ein. Beides macht das Autofahren auf den letzten Kilometern zu einer konzentrationsfordernden Angelegenheit. Und das, während rechter Hand eigentlich das Piteå Archipelago liegt. Das Piteå Archipelago ist eine Gruppe von 550 Inseln im bottnischen Meerbusen, umgeben von Brackwasser, nur noch knapp 10% des Atlantiksalzwassers schaffen es hier hoch. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass die Ostsee hier oben so stark zufriert. Durch den postglazialen Rebound hebt sich das Land hier um 0,8 bis 1cm pro Jahr, so dass auf diese Weise stetig neue Inseln entstehen und vorhandene zu Halbinseln werden. Die meisten der Inseln sind nicht kontinuierlich bewohnt, sondern haben kleine Ferienhäuser und Cottages auf sich. Wenige habe dauerhafte Bewohner:innen.

Gegen 17:30 Uhr kommen wir im First Camp Arcus-Luleå an. An der Rezeption gibt man uns den Schlüssel und eine Wegbeschreibung zur Hütte, kann uns aber nicht sagen, ob wir an der Hütte parken können. Es sei Schneechaos gewesen und man habe noch nicht alles frei baggern können. Die Wege seien aber alle gut. Dem ist auch so, leider ist unser Parkplatz noch nicht freigebaggert. An der Hütte hängt außen eine Schaufel und so machen wir vor dem Abendessen noch ein spätes Workout und schaffen uns unseren Parkplatz. Alles schnell ins Haus getragen und frostsicher verstaut und dann gibt es Rouladen. Während wir zu Abend essen, fährt ein Carbage Runner nach dem nächsten an unserem Haus vorbei. Wir richten uns auf eine unruhige Nacht ein.

Vor dem endgültigen Abspannen machen wir noch einen Spaziergang zur Ostsee, Katrin sogar auf ihr. Morgen werden wir das dann noch einmal toppen. Und morgen werden wir über den Polarkreis fahren.

2 Kommentare

  1. …..jetzt
    kann ich schlafen gehen….

    Danke euch für die Lektüre zur Nacht
    und weiterhin viel Spaß, Schnee,
    gute Laune und nur das Beste.

    In Mecklenburg-Vorpommern hatten
    wir gerade erst Polarlichter –
    also soll‘ es euch in den nächsten Tagen
    auch gegönnt sein. ❤

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