von Svensby nach Bjerkvik (Enter Hotell)
gefahrene Kilometer: 244
Roadtime: 8 Stunden
Temperatur: -8 Grad
36l getankt
1x Pipipause, 2x Tanken, 1x Schlittenfahren (3,5h)
Reparaturen: wie jeden Morgen Ärger mit dem Vergaser
Der Tag startet trotz phänomenalem Blick aus der Hütte auf den Seitenarm des Ullsfjord etwas holprig, wir brauchen ein bisschen, bis wir warm werden und auf Spur sind. Die 12 Tage on the road stecken doch auch irgendwie ein bisschen in den Knochen. Immerhin sind wir 4581 Kilometer in 95 Stunden gefahren (was eine Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 50 km/h bedeutet). Das verrückte an diesen Roadtrips ist ja, dass wir innerhalb sehr kurzer Zeit sehr viel sehen und erleben und sich dadurch 12 Tage wie eine halbe Ewigkeit anfühlen. Was natürlich ein ganz netter Effekt ist, denn dadurch wirkt der Urlaub einfach deutlich länger, als er in realer Zeitmessung ist.

Wir haben unseren Routenplan noch einmal angepasst: wir fahren die 91 durch die Lyngen Alpen zurück inklusive der 868. So machen wir dieses kleine Stückchen Straße, von dem Matthias schon so lange in der Vorbereitung geredet hat, noch einmal bei Tag und sparen uns die Fähre ab Svendsby. Vorher haben wir aber noch ein Date.

Ole-Anton, unser Gastgeber letzte Nacht, hat für uns noch eine Hundeschlittenfahrt organisiert. Die Chance ein paar Fellnasen zu knuddeln (wir haben deutlichen Hundeentzug, unser eigener lässt es sich gerade bei den „Großeltern“ gut gehen, ganz lieben Dank dafür!) und Hundeschlittenfahren einmal zu erleben, lassen wir uns nicht entgehen. Und das auch noch in den Lyngen Alpen mit ihrem beeindruckenden Panorama, das kann nur super sein. Das Wetter meint es auch gut, die Sonne scheint unter blauem Himmel, einzig ein scharfer, kalter Wind weht.

Die Schlittenfahrt macht Lyngen Safari mit uns, ein lokaler Familienbetrieb der sich auf Hunde- und Skidoo-Fahrten spezialisiert hat. Zum Glück stellt Lyngen Safari uns – zugegeben nicht sehr kleidsame – Schneeanzüge, Winterschuhe und Handschuhe zur Verfügung, wie wir später merken, wäre unsere Kleidung schnell an Grenzen gekommen. Abgesehen davon riecht so der Mietanzug nach den draußen lebenden Hunden. Auch nicht verkehrt. Nach Umziehen und kurzer Einweisung in die Basics des Hundeschlittenfahrens, primär Lenkung, Bremsen und Abstandsregeln, geht es auch schon los. Die Hunde haben richtig Bock, bis wir endlich losfahren, müssen wir mit unserem ganzen Körpergewicht auf der Stop-Bremse (zwei fetten Metallhaken an einer Stange die sich in den Untergrund bohren) stehen, während vorne bereits an der Zugleine gerissen wird. Kaum ist die Bremse gelöst und die Guides sind mit ihrem Schlitten losgefahren, starten unsere Hunde mit einem krassen Ruck die Fahrt. Die ersten paar Meter nehmen sie richtig Fahrt auf (das kennen wir von unserem Hund beim Fahrradfahren), um dann in einen kräftesparenden Trab zu verfallen. Die Arbeitsteilung ist offensichtlich: die beiden hinteren Hunde vor dem Schlitten leisten die meiste Muskelarbeit, die beiden Hunde vorne sind eher für die Orientierung zuständig. Die Aufgabe des mittleren Hundes wird uns erst kurz vor Ende klar. Spannend ist, dass die Hunde einfach beim Laufen ohne Anhalten alle ihre Geschäfte erledigen, je nach Wind kann das für die Schlittenfahrenden natürlich Folgen haben. Wir haben Glück. Gelenkt wird der Schlitten über Gewichtsverlagerung zur Seite, dafür ist ordentlicher Körpereinsatz notwendig, die Lenkreaktion des Schlittens ist auch eher träge. Zusätzlich ist zwischen den Kufen hinten noch eine Fahrtbremse zur Regulierung der Geschwindigkeit angebracht, im Prinzip eine klappbare Gummimatte mit Noppen nach unten. Je nachdem wie man sie benutzt kann auch so die Lenkung unterstützt werden. Es ist also viel Körpereinsatz gefragt, an der einen oder anderen Steigung müssen die Hunde auch durch Anschieben oder Kicks wie beim Rollerfahren unterstützt werden. Unterm Strich hört sich das komplizierter an, als es eigentlich ist und nach kurzem Warmwerden haben wir es drauf und können die Fahrt sehr genießen. Auf dem letzten Stückchen verliert einer der Hunde unserer Guides seinen Neopren-Schuh. Und jetzt schlägt die große Stunde unseres mittleren Hund: im vollen Lauf schnappt er sich den Neoprenschuh vom Boden und trägt ihn die ganze Zeit mit sich. In der letzten Kurve verliert er dann aber die Motivation und lässt ihn fallen – ein bisschen Arbeit können die Menschen ja auch leisten.

Nach gut 3,5 Stunden sind wir am Ausgangspunkt zurück, knuddeln die Hunde ausgiebig, ziehen uns um und starten den Volvo. Aus dem Vergaser pladdert wieder, wie auch heute morgen, das Benzin. Matthias hat beim Autopacken aus dem Ersatzteilfundus das mitgenommene Vergaser-Reparatur-Set geholt, ist sich aber unsicher, ob und wie er den Vergaser abbauen kann. An Vergasern hat Matthias nämlich noch nie rumgefummelt. Also kurzer Anruf bei Andreas von der Wagenwerkstatt ob und was wie zu tun ist. In der Kurzfassung: so lange nicht an Einstellschräubchen rumgedreht wird, können wir den Vergaser abbauen, auseinanderbauen, die Dichtungen tauschen und alles wieder zusammen bauen. Matthias entscheidet sich erstmal für warm fahren und erneut nachgucken. Eine rationale Begründung dafür gibt es nicht, subjektiv spielen Wind, Kälte und der Ort eine Rolle.


Also fahren wir erstmal die 91, dieses klitzekleine Stückchen Traumstraße. Laute Musik im Radio, dieses wunderbare Stückchen Asphalt mit dem noch viel wunderbareren Panorama drumherum. Und die Endorphine vom Hundeschlittenfahren noch im Blut. Großartig. Wir sind uns einig: diese Strecke noch einmal im Tageslicht zu fahren, hat sich gelohnt. Auch die bis dato unbekannte 868 begeistert uns sehr. Diese norwegischen Fjordlandschaften mit ihren krassen Bergen, riesigen Wasserflächen, grob in den Stein gehauenen Tunneln und kleinen Ortschaften gewinnen noch einmal doppelt und dreifach, sobald man sich von der gut ausgebauten Hauptstraße entfernt und über die kleinen Nebenstraßen fährt. Ab Oteren fahren wir wieder auf der E6, die hier kurz parallel mit der E8 verläuft. Hier finden wir auch endlich eine Shell-Tankstelle, die Benzin mit 98 Oktan verkauft. Gestern sind wir nur an Tankstellen vorbeigekommen, die Diesel und 95er-Benzin verkauft haben. Das mag unser B20-Motor aber nicht sehr gerne, unter Volllast fängt er dann an zu klingeln. Wir haben gestern also nur halb aufgetankt und unseren 20l-Ersatzkanister geleert. An der Shell füllen wir diesen wieder auf und machen mit 98 Oktan voll. Auf der Tankstelle treffen wir noch ein Team des diesjährigen Winter Baltic Sea Circle in einem V70. Wir schnacken kurz mit den Dänen und geben ihnen die Schlafplätze der letzten drei Nächte als Tipp mit. In Folge begegnen wir immer wieder Teams, die uns entgegen kommen.


Bei Nordkjosbotn trennen sich E6 und E8, die E8 fährt Richtung Tromsø. Hatten wir eigentlich als Etappenziel auf der Karte, haben uns aber für die Hütte gestern Nacht am Fjord und gegen die große Stadt entschieden. Was ja nicht ganz falsch war. Und mit der Entscheidung für die 91 haben wir uns komplett gegen Tromsø entschieden. Kein Verlust für uns in diesem Jahr. Wir folgen also der E6 und es passieren drei Dinge: zum einen fahren wir durch immer noch tolle Berglandschaften, da wir aber aus den wirklichen Knaller-Landschaften im Norden kommen, wirken sie auf uns eher mäßig spannend. Zum zweiten ist die E6 (im Gegensatz zu den Nebenstraßen) fast gänzlich schnee- und eisfrei. Wir fahren einfach auf Asphalt und machen uns über die Spikes Gedanken. Außerdem legt sich auf das ganze Auto eine graue, sandige Schlierschicht. Und drittens fahren wir durch immer dichter besiedeltes Gebiet. Der zunehmende und immer stressigere Verkehr ist ein deutliches Indiz. Außerdem scheint es hier einen Haufen Truppenübungsplätze zu geben: links und rechts sind immer wieder über lange Strecken Hinweise auf Schusswaffengebrauch auf den Gebieten neben der Straße. Außerdem begegnen uns norwegische, niederländische und deutsche Militärfahrzeuge. Vom kleinen Geländefahrzeug bis hin zu riesigen Panzern auf Tiefladern. Die aktuelle politische Situation der Weltgemeinschaft im Hinterkopf macht das ein mulmiges Gefühl.

Wir spulen die Kilometer ab, ein bisschen fühlt sich der Nachmittag wie ein Transittag an. In der Dunkelheit kommen wir an unserem Hotel in Bjerkvik an- Bjerkvik liegt am innersten Teil des Ofotfjords und ist ein Tettsted. Das ist eine städteorganisatorische Besonderheit. Tettsteds bezeichnen Siedlungen oder Ansammlungen von Häusern, die für statistische Auswertungen gemeinsam als Stadt oder Ortschaft erfasst werden. Die Einteilung als Tettsted ist aber von der politischen Einteilung als Gemeinde unabhängig. In einer Gemeinde können also mehrere Tettsteds oder aber ein Tettsted auf dem Gebiet mehrer Gemeinden sein. In gut 15 Kilometern, in Sichtweite über das Südostufer des Ofotfjords, liegt Narvik. Aus der Dunkelheit glitzern die Lichter der Stadt durch die Nacht. Mit seinen knapp 22.000 Einwohner:innen ist Narvik ein wichtiger Verschiffungshafen für Eisenerz aus dem Gebiet von Kiruna. Der Golfstrom sorgt für einen ganzjährig schiffbaren weil eisfreien Hafen. Einer der Gründe, warum im zweiten Weltkrieg die Deutschen hier ausgiebig belagert haben, das Eisenerz war für die deutsche Rüstungsindustrie produktionsnotwendig. Im Rahmen dieser Kämpfe ebnete die deutsche Luftwaffe die Stadt mit Bombenangriffen fast vollständig ein. Von Narvik aus wurde ab der Besetzung im Juni 1940 das Erz primär über den Emder Hafen verschifft und von dort zu den Hochöfen des Ruhrgebiets gebracht. Auch nach dem Krieg riss dieser Strom nicht ab, ein großer Teil des im Ruhrgebiet verhütteten Erzes kam aus Kiruna.

Am Hotel freuen wir uns ein wenig: direkt vor der Tür steht Svetlada, ein Mongol Rally erprobter Lada 2102 und ebenfalls Teilnehmer des diesjährigen Winter BSC. Und eines der wenigen alten Autos auf dieser BSC-Ausgabe. An der Rezeption erkundigen wir uns nach einer Restaurantmöglichkeit, hier im Ort gibt es aber nur eine Burgerbude. Wir checken sie ab, sehen das Svetlada-Team drinnen und erfahren an der Theke auch noch, dass es hier glutenfreie Burgerbuns gibt (der Laden hat Schnellstraßen-Rasthof-Charme und so ist auch das Essen) und bestellen uns Burger/Pommes. Und schnacken ein wenig mit dem Svetlada-Team über ihre Tour bis jetzt. Die Jungs wollen aber schnell ins Bett, in der letzten Nacht haben sie wegen der Fähre zu den Lofoten nur zwei Stunden Schlaf bekommen und benötigen dringend einen Kopfkissen-Lauschangriff. Wir planen unsere nächsten Tage und buchen Hotels bis einschließlich Göteborg vor. Sicher ist sicher, ab jetzt spulen wir jeden Tag wieder ordentlich Kilometer und fahren auf das nächste Wochenende zu (was beim letzte Mal deutlich mehr ausgebuchte Unterkünfte bedeutete). Anschließend geht es zurück ins Hotel, das ebenfalls Schnellstraßen-Hotel-Charme hat, aber mit seinem großartigen direkten Blick über den Fjord punktet.

Zwei Nachträge zu für uns offen gebliebenen Fragen – von Experten beantwortet:
An Tag 4 stellten wir beim Reifenwechsel fest, das obwohl mit 2,5 Bar eingepackt, die Spikereifen nur noch irgendwas zwischen 1,8 und 2,0 Bar hatten. Wir hatten Sorge, dass wir mit Luftverlust weil undicht wie beim Start zu kämpfen haben werden, stellten durch regelmäßige Kontrolle aber keinen weiteren Druckverlust mehr fest und haben die Hypothese aufgestellt, dass das was mit unterschiedlichen Temperaturen beim Befüllen der Reifen in Köln und beim Montieren in Västerås zu tun haben wird. Ein kluger Kopf mit Ingenieurstitel und Berufserfahrung im Bereich Thermodynamik hat uns eine Berechnung geschickt, die diese These bestätigt. Leider haben wir keine neue wissenschaftliche Entdeckung gemacht, die lustige Ansammlung aus Zahlen, Dreiecken und Strichen nennt sich isochore Zustandsänderung. Über den Daumen hat die Berechnung ergeben, dass der Druckabfall darüber hinkommt, wir aber für eine vernünftige Aussage viel zu ungenaue Messwerte und Ausgangslagen geliefert haben. Wir geloben Besserung für die Zukunft.

Gestern machten wir uns Gedanken über den vom Wasser der Fjorde aufsteigenden Nebel. Wir stellten die steile These auf, dass dieser Nebel aus touristischen Gründen zwecks mystischer Gesamtanmutung der Fjorde produziert wird. Der Physiker in der Familie widersprach dieser doch so naheliegenden Vermutung und erläuterte uns, dass unabhängig davon, wie kalt oder warm das Wasser ist, der Temperaturunterschied zur Luft mit -10 Grad und kälter ausreichend ist, um Kondensation anzukurbeln. Und bei richtig stehendem Licht ist die Kondensation dann in Form von Nebel unmittelbar über der Wasseroberfläche zu sehen.
Danke Euch beiden dafür!