Ihr seid Euch sicher, dass ihr damit..? Ja. Und das bedeutet, dass ihr da lang…? Ja. Aber das ist doch bestimmt total….? Ja. Aber man weiß doch überhaupt nicht….? Ja. Aber warum wollt ihr das dann machen? Weil es völlig bescheuert ist.
Von vorne: es ist Corona, es ist November 2020 und irgendwie fühlt sich alles eng und beschränkt an. Aus Gründen die in einem späteren Artikel zu erzählen sind hat sich Matthias in den Kopf gesetzt, eine zusätzliche Motorhaube für den 145er zu erstehen, ein etwas räudiges aber für die Ansprüche völlig ausreichendes, weil rostfreies Exemplar findet sich bei eBay Kleinanzeigen für 30€. Einziger Nachteil: das Teil steht irgendwo hinter Nürnberg auf dem platten Land. Mit Micha (bereits mit von der Partie bei der Lost in the Alps Tour 2020 sowie beim Baltic Sea Circle 2016 ) findet sich eine Begleitung für gute acht Stunden Autofahrt und so nimmt das „Unglück“ seinen Lauf:
So viel Zeit im Auto bedeutet, dass wir viel Zeit haben, um uns zu überlegen, was man denn mal als Abenteuer ins Auge fassen könnte, wenn das mit LockDown, globalem Infektionsgeschehen und diesem ganzen Mist mal wieder vorbei ist. Mit alten Autos bis zum Nordkapp und einmal rund um die Ostsee ist abgehakt, mit alten Autos einmal kreuz und quer über den Balkan ist abgehakt, mit alten Autos immer wieder die Alpen hoch und runter ist abgehakt. Bleiben noch ein paar Länder in Europa, die noch nicht bereist wurden? Man könnte eine der Touren nochmal fahren? Die Autos nach Island verschiffen? Oder Faröer?
Irgendwie erscheint uns nichts davon wie ein richtiges Abenteuer, etwas das richtig derbe knallt. Eine Perspektive auf die man sich freuen kann. Und auf das man ein bisschen aufgeregt ist. Und so drehen wir uns ein wenig im Kreis und spinnen rum. Die Organisatoren des Baltic Sea Circle (Sommer und Winter) und des European Mountain Summit, der Superlative Adventure Club, organisieren einmalig den Atlantic Pacific Ocean Drive, eine Rallye von Hamburg bis Vladivostok. In diversen Gruppen haben wir aber bereits gesehen, dass Teams dafür monströse Expeditionsfahrzeuge mit Wohnkabinen, Allrad und autarker Wasserversorgung aufbauen – das ist weit außerhalb unseres Budgets. Und vor allem, fast noch wichtiger: das ist echt nicht unser Style.
Jetzt ist die Idee von transkontinentalen Rallyes nicht neu. die englischen The Adventurists (mit dem selbstgegebenen Untertitel „Generators of Odysseys and Chaos“) organisieren seit über zehn Jahren die Mongol Rally, das vielleicht dümmste Abenteuer, das man motorisiert erleben kann. Eine Rallye, die irgendwo in Europa startet und in Ulan Ude in Russland endet. Es gibt nur drei Regeln: sammel 500£ (~580€) Spenden für einen guten Zweck, du bist die ganze Rallye auf dich selbst angewiesen und fahre diese Rallye in einem Auto mit maximal 1 Liter Hubraum (mit Ausnahmegenehmigung bis 1,2 Liter).
Acht Stunden Autofahrt, parallel stattfindende Googlerecherche und ausgiebiges Rumspinnen führen zu dem folgenschweren Entschluß: das machen wir! 2021 ist damals bereits ausgebucht (und in Folge dank Covid abgesagt), 2022 ebenfalls ausgebucht, also planen wir 2023. Ausreichend Zeit um ein paar Überstunden und etwas Reisekasse anzusparen, nach einem Auto zu schauen und dieses dann in Ruhe vorzubereiten. Die Folgemonate verbringen wir mit unkonkretem Träumereien, Recherchen zu Autos mit bis zu 1,2 Litern Hubraum und der Überlegung, was wir denn am liebsten als fahrbaren Untersatz wollen.
Auf der Mongol Rally gibt es, jedenfalls nach oberflächlicher Bildersuche, ein paar „Klassiker“ (die im normalen Leben wirklich weit ab von dieser Bezeichnung sind) die dort zum Einsatz kommen: Fiat Pandas (die neuen), Skoda Fabias, Nissan Micras, Renault Twingos und Kangoss, VW Polos und Foxs, Suzuki Wagon Rs und ähnliche, verzeiht den Ausdruck, Kackhaufen. Irgendwie sehen wir uns nicht wirklich in einem solchen Auto weswegen wir ein paar Kriterien aufstellen: das Auto muß entweder so auffällig umgestaltet werden, dass es das Durchschnittlichkeitslevel eines Micras o.ä. anhebt oder so ausgefallen (im Sinne des breiten Starterfeldes) sein, dass es durch sich heraussticht. Idealerweise ist die Technik so simpel und robust, dass man sie mit nem Hammer und etwas Gaffa repariert bekommt. Außerdem muß es „Shitbox“ genug sein, damit wir kein schlechtes Gewissen haben, es durch einen Haufen Länder ohne gute Strassen zu treten.
Apropos Länder: es gibt keine vorgegebene Route, keine Checkpoints, keine Aufgaben. Lediglich Start und Ziel sind festgelegt, dazwischen ist ein riesiger, freier Raum der mit dem eigenem Abenteuer gefüllt werden kann. die einfachste und schnellste Route: Deutschland, Polen, Belarus, Russland. 8000 Kilometer, sicherlich machbar in 10 bis 14 Tagen. Abenteuer-Level „geht so“. Dafür die Aussicht, als schnellstes Team der Mongol Rally in die Geschichte einzugehen. Nicht sehr verlockend. Unser aktueller Plan wäre(vorausgesetzt die politischen Wetterlagen bleiben die nächsten zwei Jahre so wie sie aktuell sind): Deutschland – Tschechien – Slowakei – Rumänien – Moldawien bis Odessa. Von dort eine Fähre übers schwarze Meer nach Batumi in Georgien. Dann Armenien – Iran – Turkmenistan – Usbekistan nach Tadschikistan. Hier über den Pamir Highway nach Kirgisistan und Kasachstan, kurzer Sprung nach Russland (aber nur weil die Autoeinfuhr nach China im Prinzip unmöglich ist), in die Mongolei und dann zum Ziel wieder nach Russland. Von dort nehmen wir – so die Idee – das Flugzeug heim während unser Auto mit dem Zug in die EU gebracht wird. Das macht irgendwas zwischen 16.000-20.000 Kilometern und zwei Monate Reisezeit. Wenn wir es ins Ziel schaffen sind wir somit ca. die Hälfte des Erdumfangs gefahren. Klingt nach Irrsinn? Ist es. Und deswegen ist es super.
Am 11.06.21 öffnet die Anmeldung für die Mongol Rally 2023 und direkt schreiben wir uns ein. Was die Teambezeichnung angeht haben wir uns ganz schnell geeinigt: wir fahren als Likedeeler, dafür ist der Wagen in Düsseldorf angemeldet. Und somit steht fest: von Juli bis September 2023 leben Micha und Matthias zwei Monate in einem Auto. Das es jetzt zu finden gilt.
Im April 21 stolpern wir über ein potentielles Auto: einen Moskwitsch 408 erste Serie. Der Wagen scheint laut Anzeige alle Krieterien zu erfüllen: er hat das gewisse Extra, robuste Technik, die Karosserie ist in gutem Zustand, optisch aber etwas verlebt. Wir fahren in ein Dörfchen mit dem wunderbaren Namen Linsengericht und gucken uns den Wagen an. Tatsächlich käme er wirklich in Frage, wenn Matthias hineinpassen würde. Obwohl er optisch groß wirkt ist der Wagen winzig. Im Sitzen stösst Matthias bereits mit dem Kopf an die Decke, zwei Monate lang auf Schotterpisten ist so undenkbar.


Anfang Juli poppt dann bei mobile.de ein Ford Fiesta MK1 von 1979 auf. Der Wagen scheint in gutem Zustand zu sein, steht um die Ecke bei Siegburg, liegt aber etwas über dem eingeplanten Budget, hat dafür aber bereits einige Extras: der Vorbesitzer, ein Fiesta-Schrauber seit mehreren Jahrzehnten, hat sich überlegt, mal einen Fiesta zu machen, der nicht wie die üblichen Fiestas aussieht. Dafür hat den Wagen mit Escort MK3-Federn bereits eine geringfügige Höherlegung um 1cm, Dachgepäckträger mit Ersatzrad und Benzinkanister sowie Sandblechen verpasst. Außerdem sind zusätzliche Fernscheinwerfer sowie eine Bügelstossstange des Spanien-Export-Modells, die mit oder ohne Serienstossstange (mit TÜV-Freigabe!) gefahren werden kann und nach einer Mordsportion Abenteuer aussieht, montiert. Einziger Wehrmutstropfen: der ursprünglich uni-beige lackierte Wagen ist auf Wüsten-Tarnfleck umlackiert, wir bezweifeln, dass diese Lackierung an den diversen Grenzen auf Liebe stossen wird. Aber Lackierungen kann man ja ändern. Als wir dem Vorbesitzer von unserem Vorhaben erzählen ist er Feuer und Flamme, wir werden uns preiseinig und danach (dickes Dankeschön dafür!!) stellt er uns noch ein Ersatzteil- und Informationspaket (von Lichtmaschine bis Werkstatthandbuch) zusammen und legt noch ein paar 13-Zoll-Felgen (mit den wir wieder etwas höher kommen als mit den montierten 12-Zöllern) drauf. Außerdem markiert er uns in technischen Zeichnungen alle Stellen am Fahrzeug, die er während seiner aktiven Motorsport-Zeit immer zur Verstärkung und Versteifung nachgeschweisst hat. Mehrere Jahrzehnte Schrauberwissen an Fiesta MK1-Modellen lassen wir natürlich nicht links liegen;)


Mittlerweile steht der Wagen bei uns, ist angemeldet mit Düsseldorfer H-Kennzeichen. Eine erste Spritztour ist auch bereits gemacht, allerdings fiel diese ziemlich ins Wasser: der Mittwoch Abend, als NRW anfing, Opfer einer Flutkatastophe zu werden war verabredet und da wir zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung hatten, wie dieser Abend verlaufen sollte, zogen wir das auch durch. Einige nachbesserungswürdige Malästen offenbarten sich dabei: irgendwas ist mit der Elektronik nicht ganz sauber (bei Einschalten der Heckscheibenheizung brannten Sicherungen durch und der Wagen ging aus, in der Beleuchtung gibt es wahrscheinlich einen Massefehler, und wahrscheinlich ist die Diodenplatte der Lichtmaschine durch weswegen die Batterie nicht geladen wird – und in Folge platt ist), bei starker Umgebungsfeuchtigkeit kommt die Lüftung an ihre Grenzen im Kampf gegen beschlagene Scheiben, an der Kofferraumklappe gibt es Undichtigkeiten und der Motor läuft nur bei voll gezogenem Choke, egal ob warm oder kalt. Unserer Einschätzung nach ist das alles machbar, vieles davon ist Einstellungskram. Und wir haben ja zwei Jahre Zeit, den Wagen zu testen, vorzubereiten und zu optimieren.


Die Kofferraumklappe gehört zum Nachfolgemodell Fiesta ’84 – aber offenbar hat das für das H-Kennzeichen keine Probleme gegeben. Ich bin gespannt, wie das Projekt wird.
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Wir fangen jetzt auch endlich mal mit dem Auto an!
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