Tag 16 – wo keine Spannung ist, muß welche erzeugt werden

von Abborrträsk bis Hammerdal (Camp Route 45)

gefahrene Kilometer: 442

Roadtime: 6,5 Stunden

Temperatur: von -10 über -3 zu -1 Grad

38l getankt

2x kurze Motorcheckpausen, 1x Supermarkt mit Pipi, 2x Pipi, 2x tanken

Reparaturen: Temperaturanzeige, Fernlichtanzeige, Radiouhr

Wir frühstücken mit toller Aussicht auf den sonnenbeschienen und zugefrorenen Ainuvarppijärvi (ein See). Dabei gehen wir die neuesten Nachrichten durch, checken die Lage der Welt und lesen über verschiedene Quellen ein paar sehr persönliche Berichte von Menschen in der Ukraine. Das kommt gerade emotional alles sehr nah. Wir müssen uns erst einmal wieder ein bisschen sammeln.

Unser Host hatte uns ja gestern gegen einen Aufpreis von 5 € einen Außenstromanschluß für den Motorvorwärmer angeboten. 5 € waren uns dann aber für eine Handvoll Watt doch etwas zu viel – vor allem, weil es bei den anderen paar Malen immer kostenfrei war. Das rächt sich jetzt. Über Nacht sind die Temperaturen ordentlich gefallen (es müssen so -15 Grad gewesen sein) und der B20 startet etwas widerwillig. Initial geht es noch, nach kurzer Laufzeit würgt er sich aber selbst ab und braucht danach eine ordentliche Portion Orgelei, um anzuspringen.

Wir packen das Auto, teilen GoogleMaps das nächste Ziel mit und sind etwas irritiert über die Routenempfehlung. Der Algorithmus möchte über die 95 Richtung Süden, dann auf die 365 über Lycksele, vor Asele auf die 92 und über diese zurück zur E45. Hä? Warum nicht einfach E45? GoogleMaps antwortet, dass so Streckensperrungen umfahren werden. Als wir die E45-Route aber etappenweise überprüfen, schlägt die freundliche Dame hinter dem Bildschirm durchgehend die E45 vor. Wir verstehen es nicht, da GoogleMaps in der Vergangenheit aber häufig sehr richtig lag (Danke, BigData! Wenigstens das…) fahren wir erstmal die 95.

Wir haben gestern die Spikereifen gegen die Winterreifen gewechselt und auf der 95 kommen uns dazu Zweifel. Diese ist vollständig vereist. Wir entscheiden uns also für die E45-Route, da fahren wir seit längerem die letzten Tage eisfrei. Denn auf dem kurzen Stück 95 wird deutlich klar: die Spikes waren eine sehr gute Entscheidung. Zurück auf der E45 und gerade aus Arvidsjaur raus (wenigstens noch einen Erlkönig gesehen!) fühlen wir uns auf den Arm genommen: auch hier ist alles vereist. Vollständig. Und nicht nur ein bisschen. Fast zweieinhalb Stunden fahren wir über geschlossenes Eis. Ab und an guckt der Asphalt durch, aber eher selten und häufig auch arglistig täuschend. Die Temperaturen um null Grad der letzten Tage plus ausgiebiger Sonnenschein haben die Oberflächen des eher spröden und somit griffigen Straßeneises angetaut und nachts wieder schön einfrieren lassen. Jetzt haben wir Straßenbedingungen, über die sich die Duisburger Schlittschuhhalle sehr freuen würde. Dachten wir, dass wir die E45 durch immer gleichaussehende Landschaft eher gelangweilt abspulen würden, so haben wir uns jetzt unsere eigene Spannungskurve geschaffen.

Eine zusätzliche Spannungskurve erzeugt das Auto. Obwohl wir bereits einige Kilometer gefahren sind, zeigt die Motortemperatur einen kalten Motor an. Aus der Lüftung kommt aber warme Luft. Also liegt der Verdacht nah, dass die Motortemperaturanzeige die gleichen Anwandlungen hat, wie unserer Tankuhr. Also die gleiche fachmännische Wartung ausgeführt – ohne Erfolg. Spurensuche in der nächsten Parkbucht: der Motorblock ist maximal handwarm, der zum Kühler führende Schlauch aber heiß, der vom Kühler weggehende Schlauch kalt. Die Vermutung: das Thermostat ist hinüber und schließt nicht mehr. Dadurch strömt die ganze Zeit heißes Wasser in den Kühler und der Motor kommt nicht komplett auf Temperatur. Erstmal kein Weltuntergang, auf Dauer aber doch irgendwie schlecht. Aber es kann sein, dass hier bereits Rettung in Sicht ist: eine Hilferuf in den sozialen Medien hat mehrfach einen sehr einfachen Hinweis gebracht: fahr zu Biltema, die sollten das auf Lager haben. Ist nicht die beste Qualität, bis nach Hause sollte es aber reichen. Der nächste Biltema ist fünf Stunden entfernt UND hat am Sonntag auf. Spontane Selbstheilung dafür an anderer Stelle: die vor einigen Tagen ausgefallene Kontrolleuchte „Fernlicht“ funktioniert wieder. Vielleicht kommt das gesamte Kombiinstrument mal auf den Prüfstand. Keine spontane Selbstheilung bei der Scheibe: der Riss hat sich verlängert und geht jetzt parallel zur A-Säule nach oben.

Irgendwo auf der E45 steht ein Ford Exploder schräg im Graben. Es ist superglatt und geht bergab, deswegen können wir nicht direkt anhalten. Die Schweden vor und hinter uns prügeln einfach dran vorbei, wir drehen bei der nächsten Gelegenheit und fahren zurück. Zwei junge Norweger:innen sitzen in dem Auto, wir fragen ob bei ihnen alles okay sei, sie meinen, sie hätten schon Hilfe gerufen und es sei alles gut. Also fahren wir den Berg wieder rauf, um noch einmal zu drehen und ihn wieder runterzurutschen. Währenddessen sind locker zehn Autos an uns vorbei gefahren, niemand hat auch nur gebremst. Ich frage das rhetorisch noch einmal: was stimmt mit Euch nicht?

Ab Vilhelmina geht es langsam mit der Straße. Was ganz witzig ist, denn dort hatten Hinne und Matthias beim Winter BSC 2019 in die andere Richtung fahrend sich für die Spikereifen-Montage entschieden. Merken für die Zukunft: Vilhelmina ist ein guter Wechselort. Ab hier wird die Straße immer freier bis sie letztendlich bis auf innerstädtische Bereiche fast ganz schnee- und eisfrei ist (oder eben anders herum). Leider zeigt sich dadurch die Hässlichkeit des scheidenden Winters: siffige, mit einem Matsch aus Schnee und Streumittel (hier eine Mischung aus Sand und Splitt) bedeckte Fahrbahn und auch die Schneeberge und -wälle links und rechts der Straße sind von braun-grau-schwarzer Farbe. Keine Augenweide und da sich gleichzeitig die Sonne hinter Wolken versteckt und so alles in winterliches Grau hüllt, kommt so etwas wie elegische Stimmung auf. Die immergleiche Landschaft hinter den Scheiben tut ihr übriges: wir fahren gefühlt den ganzen Tag durch das gleiche Panorama aus schneefreien Bäumen neben schneebedecktem Boden, durchsetzt von ein paar Orten und dem einen oder anderen See. So richtig scheppert das hier alles nicht, im Sommer ist das bestimmt deutlich schöner. Im Sommer ist das hier nämlich ein einziges Schweden-Postkarten-Motiv. Aber so wie der Winter das Eindrucksvolle des Nordens verstärkt hat, so dämpft und egalisiert er hier die Landschaft.

Was allerdings scheppert ist ein Zufallsfund. Wir tanken an einer der wenigen Tankstellen die 98 Oktan anbieten. Beim Ausfahren entdeckt Matthias etwas oberhalb der Tankstelle einen mit Schnee bedeckten Lloyd Alexander. Der muss fotografiert werden. Was erst beim Näher kommen zu sehen ist: hinter dem Lloyd steht ein Rallye-Buckelvolvo, daneben eine Amazon-Karosserie, daneben ebenfalls mit einer dicken Schneeschicht ein Amazon mit originalen Wolfrace-Felgen, in Deutschland werden nur die Felgen mit Gold aufgewogen. Und gegenüber stehen diverse weitere 140er, Amazonen, Buckel und Duetts. Am liebsten würde Matthias den Kofferraum voll machen – oder kurzer Hand einen Tieflader organisieren.

Am frühen Abend kommen wir in Strömsund an und sehen bei GoogleMaps, wo die Streckensperrung sein soll. Die Strömsundsbron, soll es sein. Die Strömsundsbron versteckt sich unscheinbar hinter Baugerüsten, vor allem die beiden 28m hohen aus Stahlblech genieteten Pylone sind eingerüstet. Hier wird offensichtlich saniert. Mit einer Hauptspannweite von 182m und einer Gesamtlänge von 332m wirkt die Strömsundsbron keinesfalls wie eine Brücke aus Superlativen, tatsächlich gilt die 1956 eröffnete Brücke aber als die erste große Schrägseilbrücke der Welt. Aus der Ferne sieht es so aus, als seien über die Kabelführungen auf den Pylonen nur zwei Kabel schräg zum Brückendeck gespannt, tatsächlich sind aber jeweils vier Kabel mit Abstandshaltern dicht nebeneinander gezogen worden. Das die Brücke dann auch noch von DEMAG, einer ursprünglich in Duisburg ansässigen Stahlbaufirma gebaut wurde, lässt mindestens Matthias Herz höher schlagen. Und diese Brücke soll laut GM gesperrt sein. Wir sehen aber eine befahrbare Brücke, zwar nur mit 30 weil Baustelle, aber befahrbar. Das wusste BigData offensichtlich nicht.

Die Nacht verbringen wir im Camp Route 45, einem Campingplatz mit kleinen Hütten. Der Platz wird von einer holländischen Familie betrieben, sie haben ihn vor vier Wochen erst übernommen. Wir sind somit unter den ersten Gästen und die Aufregung ist bei der Betreiberin noch deutlich zu spüren. Die Hütte ist wie all diese Hütten einfach eingerichtet, aber gemütlich und nett. Wir machen es uns bequem und reißen die letzten Gläser Gulasch auf.

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